Freitag, 22. Juli 2011

Indro Montanelli: zehn Jahre danach, einem achtzehnjährigen Italiener erklärt

Indro Montanelli (1909 - 2001)

Er war bereit vieles der Klarheit und Einfachheit zu opfern. Er war überzeugt, wenn ein Zeitungsartikel zwei Ideen enthielt, dann war ein zuviel.

von Beppe Severgnini

Er war ein Sonderfall. Zu grossgewachsen, zu mager, zu tüchtig, zu schwermütig, zu gutmütig, zu stolz es zu zeigen. Wie soll ich dir einen solches Menschen schildern, der du achtzehnjahre zählst und in der Zeit von „mani pulite“ geboren wurdest? Ich könnte damit beginnen dass seine Hände tatsächlich sauber waren. In Anbetracht dessen, womit ein Journalist täglich umgeht, heute wie damals, füge ich hinzu: er kannte sich selbst gut und auch die Italiener. Zum Glück irrte sich er ab und an.

Italien, so sagte er, hat viel Bedauernswertes und einige Schuldgefühle, aber wenig Stolz und schon gar kein Gedächtnis. Darum war Montanelli überzeugt, er würde sehr schnell in Vergessenheit geraten. Ich war vom Gegenteil überzeugt, und forderte den cholerischen Misanthropen in ihm heraus. Ich habe ihm sogar eine Wette vorgeschlagen, im Wissen dass ich den Gewinn nie werde einstreichen können. Denn ich habe sie gewonnen. An Montanelli erinnern wir uns – und wie! – in grosser Zahl, nicht zuletzt des Mannes wegen, der ihn in den letzten Jahren beschäftigte und verbitterte, und bis heute viele von uns umtreibt und verbittert: Berlusconi.

Indro kannte Silvio ganz genau, da er ihn hochkommen sah: er war im Bilde über die Gewohnheiten und Laster, seine Tugenden und seinen Machtwillen. Er fürchtete seinen Charme, die Umarmungen und die Versprechungen. Er wusste wie die italienische Rechte einen Minderwertigkeitskomplex auslöschen wollte; und bereit war jedem zu folgen, der sie zum Sieg geführt hätte, und ihm alles zu verzeihen: Dürftigkeit, mangelende Integrität, Privatinteressen.

Die These der Montanellianer, die zu Berlusconi übergelaufen waren – die „montalusconiani“, reichlich für ihre elastische Treue belohnt – war, dass der Meister dem Schüler den durchschlagenden Aufstieg neidete und Verschiebungen auf der nationalen Bühne nicht tolerierte. Gewiss, vielleicht lag auch ein Gran Wahrheit in dieser Bemerkung. Aber in den groben Zügen war die Sache genau so, wie Indro sie erzählt hat. Montanelli war – viel früher als der „Economist“ – der Ansicht, Berlusconi sei „unfit to rule“, untauglich für die Regierungsgeschäfte. Und er hatte eine glasklare Überzeugung: ein Journalist kann nie für einen politischen „leader“ arbeiten. Macht er es, so verkommt er zu seinem Sprecher, zu seinem Kofferträger oder seinem Aschenbecher (wieviele triste professionelle Kippen schleppen sich durch Italien!).

Mit dem Wissen danach könnte ich dir sagen, dass Montanelli, in der Sache, zwei zutreffende Vorhersagen abgab, aber in einem dritten Punkt falsch lag. Indro hatte verstanden, dass die Verführungskunst Berlusconis verbunden mit seiner totalen Absenz von Prinzipien, aus ihm einen optimalen Populisten gemacht hätte, aber einen himmeltraurigen Reformer. Er hatte geahnt – wusste er es? – dass die leichten Sitten des Geschäftsmannes, den Prüfungen denen Staatsmänner unterworfen werden, nicht standhalten würden. Aber er hatte auch vorausgesagt, dass die Italiener, nachdem sie ihn einmal „ausprobiert“ hätten, gegen einen Rückfall geimpft wären. Hier irrte er. Die Krankheit von 1994 wurde wieder 2001 akut und 2008 ein drittes Mal. Nun, sind wir – vielleicht – auf dem Weg der Genesung. Aber der Körper ist geschwächt, und die Rekonvaleszenz wird lange dauern.

Hast du verstanden? Gut: das heisst, ich habe bei Montanelli etwas gelernt. Du musst wissen, Indro ärgerte sich über die Dinge, die er nicht verstand: und er verabscheute Leute die sich nicht verständlich machen wollten. Ganze Berufsgattungen, von den Historikern bis zu den Literaturkritikern haben im misstraut. Einige verwechselten seine Einfachheit mit Einfalt (ohne sich darüber klar zu werden, dass ihre Komplexität, nichts als Konfusion war). Andere dachten: da muss etwas dahinter stecken! Aber hinter Indros Schreibe und Logik verbarg sich nichts als der Refrain eines Liedes, das im Schwange war, als ich dein Alter hatte: himmelblaues Wasser, klares Wasser. Lies Montanelli, du siehst den Dingen auf den Grund und verstehst, was sich dort unten bewegt.

Der Klarheit und der Einfachheit opferte Indro bereitwillig viele Dinge: Nebensätze, Argumente, Details. Er war überzeugt, wenn ein Zeitungsartikel zwei Ideen enthielt, na, dann war eben eine zuviel. Und er gab sich auch kreative Freiheiten, wenn er die Weltläufte erzählte. Als 1991 mein erstes Buch in England erschien, enthielt es ein Zitat von Winston Churchill. Ich hatte es von Montanelli gehört: „Die grossen Völker haben nicht das Recht, sondern die Pflicht undankbar zu sein“. Der brititsche Verlag, Hodder&Stoughton, hatte einen Beleg des Ausspruchs in jedem Geschichtsbuch, Monographie, Biographie gesucht: und er wurde nicht fündig. Als er sich an mich wandte, um die Quelle zu erfahren, antwortete ich: „Indro Montanelli“. Und der Verleger: „Nun, tja, wenn’s Montanelli sagt …“. Wenn ich darüber nachdenke, kommt mir der Verdacht, Winston Churchil verfüge jetzt über ein Zitat mehr. Möge es ihm nicht missfallen.

Für die Italiener – und er kannte uns gut, ebenso in unseren unverhofften Glanzmomenten, wie im alltäglichen Mittelmass – nährte Indro eine jähzornige Leidenschaft. Er misstraute ihnen, und liebte sie. Er nährte spielerische, begeisternde Antipathien: in der Regel wurden sie nur hochrangigen Personen zuteil, andere liquidierte er mit einem geistesabwesenden Lächeln. Er sah sich aber als weltläufigen Gentleman, und hielt dafür, sich nicht ewig zu zanken. Er vermied darum die plumpen Angriffe, die heute gang und gäbe sind. Er beschränkte sich auf fulminante Urteile im Privaten, wo er seine liebste Technik anwandte, die seine „Incontri“ (Begegnungen) und Nachrufe so berühmt machte: wenn du einen Menschen loben willst, kritisiere ihn; wenn du ihn kritisieren willst, decke ihn mit Lob zu. Ein Beispiel? Oriana Fallaci, mit der er einen grimmigen Waffenstillstand geschlossen hatte. Zu tüchtig und zu sehr Toskaner waren alle beide um gleicher Meinung zu sein.

Montanelli – Du wirst es kaum glauben, da du in den 2000ern, im Jahrzehnt der Taugenichtse, gross geworden bist – war ein diskreter Mann. Er wählte mit Bedacht die Teile des Lebens aus, die er privat hielt und jene, die er öffentlich machte und gar etwas ausschmückte, und von letzteren erwartete er die geschuldete Anerkennung. Er war ein pragmatischer Narziss: die öffentliche Anerkennung – sie hat ihm nie gefehlt – war Labsal für ihn, und nährte ihn mehr als die Lebensmittel, die er mit leidenschaftlichen Minimalismus und Misstrauen in Angriff nahm. Sein Stammplatz bei „Elio“ in via Fatebenefratelli war ein Seehafen, wo wenig Teller aufkreuzten, aber viele jüngere Kollegen, alte Bekanntschaften, Ehrenmänner, schöne Frauen, Piraten der Politik und sympathische Filibuster (für die er eine Schwäche hatte, wenn sie nur süffige Anekdoten lieferten und nicht unwahrscheinliche Korrektheit heuchelten).

Ebenso gastfreundlich – und noch spektakulärer – war sein Direktionsbüro in via Gaetano Negri: wieder ein Hafen, mit einem einzigen Kommandanten. Montanelli war Conrad, am Bord seiner „Lettera 22“: er wusste zu erzählen, und liebte es, Erzählungen zu lauschen. Mit Ausnahme einiger Rituale – so das nachmittägliche Nickerchen im Ohrsessel, bewacht von Isis, dem schmiegsamen Cerberus – durften alle zu ihm eintreten, mit ihm sprechen. Dauerschwätzer und Übelzeitige waren selten, die Paranoiker nur ein paar; und keiner von ihnen war ein Jüngling. Respekt und Ehrfurcht lehrten uns den richtigen Moment, und wenn wir zu ihm traten, waren wir immer willkommen, vor allem dann, wenn wir ihm den in Aktenkladden eingeschlossenen Duft der weiten Welt brachten (mehr brauchte er nicht).

Eher als eine Chefetage war das zweite Geschoss des Giornale von Montanelli ein englischer Club, in dem wenige aber klare Regeln herrschten, die Atmosphäre brillant und Exzentrizimus nicht toleriert: vielmehr obligatorisch. Für einen Jungen wie dich - der an Fernsehmoderatoren gewöhnt ist, die Dobermänner ihres abwesenden Herrchens – wird es schwierig sein, sich eine Zeitungsredaktion der Achtziger vorzustellen. Mochte draussen der Sturm wüten: aber die Matrosen im Hafen, waren glücklich beinander zu sein und zu wissen, wie die Segel zu stellen waren. Ich erinnere an die Glossen von Mario Cervi, di transatlantischen Befürchtungen von Pasolini Zanelli, die eleganten Sarkasmen von Scarpino, das gescheitelte Schweigen von Biazzi Vergani und das Gekreisch von Giorgio Soavi – ich habe nie verstanden, ob Indro und er im Ernst zankten. Als Angelo Rizzoli ins Gefägnis musste, anerbot sich Montanelli seinen Raben aufzunehmen. Der gefiederte Schwarze sprach in seinem Käfig deutlicher als ein Papagei und übler als ein Hafenarbeiter. Das Schauspiel vom gestrengen Giovanni Spadolini, der den wütigen Auslassungen des Raben kontra bot, und Montanelli, der den Raben verteidigte, ist eine meiner schönsten Erinnerungen.

Etwas anderes war das kurze Abenteuer der „La Voce“, die im perfekten Sturm versenkt wurde. Und wie es die Erfahrung und die Romane schildern, es war der Kapitän der am meisten litt: wir hatten die Sorglosigkeit der jungen Mannschaft, die weitere Anheuerungen vor sich sieht. Zum Glück kam dann der „Corriere“: er schenkte ihm noch einmal sechs jahre begeisternder Arbeit, wieder im Kontankt mit seinen Lesern: die einzigen Herren, in der Vergangenheit auch erbarmungslose. „La Stanza di Montanelli“ wurde etwas mehr als eine schöne journalistische Metapher. Es war der reale Ort, den Indro, ab und an aufsuchte, um die Alltagluft seines Blattes zu schnuppern: das letzte Bollwerk gegen ein abdriftendes Italien, das ihm immer weniger gefallen wollte. Eines Tages, als ich ihn aufforderte, öfter zu kommen, die Kollegen jeden Alters würde es freuen ihn zu sehen – und es war die Wahrheit – antwortete er mir: „Ich weiss, sie mögen mich beim Corriere. Aber nun bin ich ein Urahn und Urahne die werden eingerahmt, und kommen nicht um die Arbeit zu verzögern.“

So: ich habe versucht dir einen mann zu schildern, den ich gut gekannt habe, und dem ich viel verdanke. Es ist das zweite Mal, das ich es tue, und wieder für die Zeitung in der Indro begonnen hat, in der er brillierte und wo er sein Leben beschloss. Das erste Mal vor zehn Jahren schrieb ich auf einem Tisch vor dem Meer in Gallura, heute unter einer traumhaften lombardischen Magnolie. Montanelli war hier, er hat sie gesehen, sie hat ihm gefallen. An jenem Abend – es war der Frühsommer 1997 – haben wir unter dem Torbogen Abendbrot gegessen, und die Schwalben schossen über uns durch den Himmel uns gänzlich ignorierend, auf ihre Nester zwischen den Balken zu. Indro beobachtete sie hypnotisiert. Er sah sie frei, elegant, pfeilschnell, sicher, mit ihren kräftigen Flügeln und ihren präzisen Bahnen. Es schien als würde er sie beneiden. Ich denke er hätte sie gern als Vorbild in den Journalistenschulen gesehen, so denke ich mir es.


Publiziert am 18. Juli 2011 im "Corriere della Sera" übersetzt von G.G.

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