28. Juni 1913 – 2. März
2005.
Waldenserin,
Widerstandskämpferin, Stadträtin, Pazifistin, Migrantin.
Mailand
1944, sie sah die Strassensperre und bekam Angst. Elena Dereher – noch unverheiratet
– sollte Adressen überbringen. Eine innere Stimme sagte: Schau nach links. Dort
war ein Blumenbeet, und sie versteckte die Liste. Sie war aktiv in einer
Frauengruppe. Die Frauen verteilten Flugblätter, oganisierten verstecke für
Partisanan, leisteten Kurierdienste, fälschten Papiere. Die „Gruppi di Difesadelle Donne“ waren relevant für den italienischen Widerstand.
Aufgewachsen
ist Elena in Norditalien. Familie Dreher war der die Mussolini-Regierung
suspekt: Sie stand ausserhalb der faschistischen Partei, hatte sich 1925 zudem
der reformierten Kirche Italiens, den Waldensern, angeschlossen. Später zog
Elena nach Mailand, dann nach Rom, um Arbeit zu suchen. Dies war schwierig,
weil sie keine faschistische Mitgliedskarte besass.
Sie
interessierte sich für den sozialen Bereich – eine Schulung in Sozialarbeit
existierte noch nicht – und begann die Ausbildung zur Krankenschwester. Bei
einer Anmeldung sollte sie ihren Mitgliederausweis vorlegen. Sie log, sie habe
den in Rom verloren, er werde nachgeschickt. Die Oberschwester begriff und
bestand nicht darauf.
Mit falschen Papieren
Während
der Arbeit im Spital erhielt Elena eines Tages die Meldung, dass jemand unter
Folter ihren Namen genannt habe, und sie fliehen müsse. Sie gab vor, sie habe
schlechte Nachrichten erhalten und müsse sofort heim. Kaum weg, erschienen zwei
Uniformierte im Spital und fragten nach Elena, um sie zu verhaften. Die
Oberschwester teilte ihnen mit, sie sei unabkömmlich im Operationssaal, sie
sollten später kommen. Diese Lüge schaffte genug Zeitvorsprung für die Flucht.
Natürlich
ging Elena nicht nach Hause, sondern fuhr bei eisiger Kälte per Velo zu
Freunden im Norden. Sie färbte die Haare, änderte die Frisur und kehrte nach
Mailand zurück. Sie lebte fünf Monate mit falschen Papieren im Untergrund und
musste erfahren, auf wen sie wirklich zählen konnte. Nach der Befreiung
Mailands wurde sie Stadträtin, zuständig für das Fürsorge- und Wohltätigkeitsamt. Sie war die erste Frau
in der Geschichte Italiens in einem öffentlichen Amt. Ein Jahr später
verzichtete sie auf die Wahl. Elena brauchte mehr Gestaltungsfreiheit. Die
hatte sie als Mitgründerin der ersten italienischen Schule für Soziale Arbeit.
Mit
ihrem neuen Lebensgefährten, Hans Fischli, kam Elena 1949 in die Schweiz, es
wurden Zwillinge geboren, kurz darauf noch einen Sohn. Familie Fischli wohnte
oberhalb Meilen, das Leben war für Elena Fischli schwierig, sie war isoliert:
Kleine Kinder, eine problematische Partnerschaft und pflegebedürftige
Schwiegereltern.
Elena
besuchte Tagungen auf Boldern, die schafften Freiraum, dort lernte ich sie
kennen. Wir kämpften gegen die Überfremdungsinitiativen. Mit ihrer
ansteckenden, liebenswürdigen Art überzeugte sie mich zu meinem eigenen Einsatz
in Ausländerfragen. Es gelang ihr, dank ihrer charismatischen Argumentation,
dass die Gemeinde Meilen eine Baracke als Treff für Italiener und auch
Schweizer einrichtete.
Später
zog Elena allein nach Zürich. Sie lancierte die Kontaktstelle für Italiener
(später Ausländer) und Schweizer. Sie vertiefte ihr pazifistisches Engagement,
wurde aktiv bei den Frauen für den Frieden und nahm bis zuletzt an deren
monatlichen Mahnwachen teil. Sie war hartnäckige Sammlerin für unzählige
Initiativen und überhaupt immer hilfsbereit. Zum Ausgleich spielte sie Klavier.
Wichtig
war ihr die Mitarbeit bei den Waldensern, sie verfasste Artikel für die Voce Evangelica. Am Freiheitsfest der Waldenser – wie symbolisch – brach sie
zusammen. Auf ihr Grab wünschte sich Elena von den drei Enkeln Küchenkräutern.
Ein unübliher Wunsch einer aussergewöhnlichen Frau, die Eigenständigkeit
umsetzte und lebenslang für Freiheit, Friede und Gerechtigkeit kämpfte.
(Erschien zuerst in „p.s.“,
2005)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen