Freitag, 10. Juni 2011

Stuckrads erster Ernstfall


Giorgio Girardet ©

Heute Dienstag geht zum ersten Mal die Sendung « Stuckradbei den Schweizern» über den Fernsehsender (SF 2, 22.55 Uhr). Grund genug nachzufragen, wer es ist, der uns auf den Spuren Goethes und Asterix’ heimsucht.

Eigentlich. Eigentlich hätte es eine Begegnung mit Foto geben sollen. Eigentlich. Denn eigentlich wollten wir dem Menschen hinter der Medienhype «Benjamin von Stuckrad-Barre» (BvSB) leibhaftig begegnen. Heute um 22.40 geht zum ersten Mal «Stuckrad bei den Schweizern» auf SF 2 (22.40) über den Sender. Und ich wollte wissen, wer uns da auf den Spuren Goethes und Asterix’ heimsucht.

Aber das Objekt der Neugierde muss, zwischen Drehs und Grippe noch Artikel für «Weltwoche» und «Spiegel» fertigschreiben, lässt es durch Produzentin Lea Rindlisbacher («eqal visual productions») ausrichten. Denn BvSB, der nunmehr Dreissigjährige, gilt als begabter Beobachter und Archivar der deutschen Spiel- und Spassgesellschaft (Remix 1 & 2). Und von Kokain, Alkohol, Bulimie und Psychosen geheilt, will er sich nur noch an seinem geschriebenen Werk messen lassen. Wohlan.

Werther. Durchgestartet ist der damals 23-Jährige 1998, als die Blasen noch intakt waren, mit dem Buch «Solo-Album». Den «Werther» einer Generation will darin Katherina Rutschky im «Merkur» erkannt haben. So, so. Tatsächlich wird im «Solo-Album» eine spätpubertäre männliche Adoleszenzkrise beschrieben. Nicht aber rückblickend aus der Nervenheilanstalt, wie in Salingers «Fänger im Roggen», nicht als tragische Krankheit zu Tode, wie in Goethes «Leiden des jungen Werther».

Nein, der WG-untaugliche Ich-Erzähler und Musikredaktor, der sich auf den Partys seiner verachteten Zeitgenossen mit deren Koks und Bier die Birne zudröhnt, leidet zwar ein gutes Jahr auf der A- und B-Seite des «Solo-Albums» unter der Trennung von seiner langjährigen Gespielin, wechselt am Ende aber einfach den Ort: neue Stadt, neue Wohnung, neue Ikea-Möbel, neuer Job, neue Frau, neues Glück. Der Blues einer Popp-Krise (der spassgesellschaftliche GAU) wird so zu Pop-Literatur.

Ironie & Onanie. «Solo-Album» heisst im Wesentlichen Ironie und Onanie. Letztere wird nicht nur reichlich beschrieben, sondern auch als Mittel der Selbsterkenntnis gepriesen. Nie sieht der Ich-Erzähler seine Situation schärfer, nie steht ihm der protestantische Selbstekel besser, als wenn er sich einen runtergeholt hat. Hier verfliessen die Grenzen zwischen Autor, Icherzähler, Inszenierung und Suchtkrankheit. Nach der Medienstadt Hamburg zog es BvSB in die Fernsehstadt Köln, wo er erst für den wortgewaltigen Küppersbusch («Privatfernsehen»), dann für die Ikone des medialen Zynismus «Dirty Harry» zu 175 Mark pro gesendeten Gag als Gagschreiber («unverzichtbare Qualifikationen: abgebrochenes Studium und Wehrdienstverweigerung») tätig war. Der nach Ironie, Testosteron und Liebesschmerz riechende Erstling liess BvSB zum erotischen Fantasma einer Frauengeneration auswachsen, was in einer kurzen Bett- und Weggefährtenschaft mit der TV-Ikone Anke Engelke gipfelte.

Schlaf & Traum. Doris Knecht, das wilde Wiener Weib, ohne dessen Mutterschaftsabenteuer eine treue Leserschaft im Millionenzürich nicht über das Wochenende kommt, zählt BvSB bei wachem Bewusstsein unter die zu vernachlässigenden Zeitgenossen, im Schlaf aber geistert Benjamin in der Prinzenrolle durch ihre feuchten Alpträume.

Diese erotische Tiefenwirkung der Marke BvSB nutzte auch Roger Köppel, der den vom engelkenschen Liebeskummer Geplagten für ein halbes Jahr nach Zürich auf die Redaktion der «Weltwoche» holte. Die hippe Edelfeder, der FAZ-Sonderberichterstatter für die Partys der «Generation Berlin», sollte ihm helfen, die «Weltwoche» zum Anmachthema im Lichthof der Universität werden zu lassen. Das kam BvSB gelegen, denn mittlerweile war aus der im Berliner Adlon inszenierten «tristesse royale» von 1999 («the most stinky German book», höhnte man in England) eine «tristesse réelle» geworden. 9/11, der Champagner ausgegangen, die Blasen geplatzt und Hartz IV am Horizont.

Es blieb dann bei vier Monaten «writer in residence», da der «Solidschweizer» lernte, dass er besser Ersatz bereit hielt, wenn «Stuckrad-Barrière», wie er «Weltwoche»-intern bald genannt wurde, im Schreibstau versackte.

Himmel & See. Angesichts der Bläue des Himmels und des Sees von Zürich schwor BvSB mit Hilfe des Ex-Alkis Udo Lindenberg dem Kokain und dem Alkohol ab und schloss nach Hamburg (print!), Köln (TV!) und Berlin (high-life) die schweizerische Medienmetropole (Ruhe, Print& TV!!) in sein Herz, denn für einen Pop-Literaten muss es der Wohnsitz Sybille Bergs sein. Nun wird der Inhaber einer B-Bewilligung also in neun Folgen jene Klischee-Schweiz abnudeln, die er sich mit seinen Zürcher Freunden zusammenfabuliert hat.

Erraten: Basel, das Tessin, die Romandie und auch Bern kommen vorerst nicht vor. Die Schrumpfschweiz eines Zürcher Medienschaffenden beginnt mit A (Aargauer, Aeschbacher, Appenzeller) und endet vorzeitig mit Z (Züri, Züri, Züri). Die Tamedia war sogleich zur Stelle. Der «Tagesanzeiger» eilte zum Interview herbei und Esther Girsberger öffnete wohlwollend mütterlich die Spalten ihres «Fokus» in der «Sonntagszeitung» für den schillernden Pastorensohn und Schlingensief-Bewunderer. Ringier liefert im «Sonntagsblick» den Sendungs-Jingle in Printversion und wartet auf die Home-Story für die «Schweizer Illustrierte» aus dem Zürcher Seefeld.

Fragen über Fragen. Stehts so schlimm um uns? Müssen wir uns von BvSB erklären lassen; «wie, wofür, wogegen und womit es hier so läuft, das Leben»? Der Fernsehkritiker der «Weltwoche», das sensible Jungtalent G.M. Cavelty, kommentiert die Ankunft des Teutonen aus dem sicheren Paris. Unter akkulturierten deutschen Journalisten macht sich eine spürbare Irritation breit, als könnte der Kollege mit dem Familiennamen eines Reichswehroffiziers und dem Schnösel-Image alte Ressentiments wecken.

Eine Leserbriefschreiberin, «eine Deutsche, die zwanzigmal so lange wie er (BvSB) in Zürich lebt», fragt: «Warum, wozu, weswegen und von welcher Warte aus fragen Sie solche Dinge, Herr Stuckrad-Barre?» Tja, das hätten wir auch gern gewusst. Eigentlich.

«Stuckrad bei den Schweizern», SF 2, heute Di 22.55 Uhr.

Basler Zeitung|15.02.2005|Seite: 3

Trittst in Turnschuhen daher. Pop-Autor Stuckrad-Barré verkocht in neun Folgen die Schweiz. Foto SFDRS

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