Mittwoch, 24. August 2011

Mitbestimmung - eine universitäre Tradition (2.Teil und Schluss)

Nicht der Humanismus, sondern die Reformation, diese erste und vielleicht einzige Umwälzung, die von der Universität ausging, brach der mittelalterlichen Autonomie der Universi­tät das Genick. Die Landesherren erkannten, welche Spreng­kraft dem Wissenschaftsbetrieb innewohnte und nach dem Grundsatz "cujus regio, eius religio" wurden die Universi­täten in den sich bildenden Territorialstaat eingebunden. Sie wurden zu Staatsdienerschulen, zu Brutstätten für Beam­te: Juristen und Kameralisten, Pastoren und Priester. Die Geschichte studentischer Selbstverwaltung wird seit dem 16. Jahrhundert zur Geschichte des Widerstandes gegen den Abbau der Autonomie. Die Studentenschaft blieb in den nationes oder den Landsmannschaften, wie sie nun hiessen organisiert, doch verloren diese Korporationen den universi­tätstragenden Charakter. Ihr hauptsächlichstes Kampfmittel gegen Universitätsleitung oder städtische Obrigkeit wurde der schon im Mittelalter bekannte Auszug. Fühlte sich die Studentenschaft in ihrer Fhre oder der akademischen Freiheit beschnitten, etwa durch eine Vorverlegeung der Polizei­stunde, Raufhändel mit Handwerksgesellen oder der Militär­garnison oder durch als ungerechtfertigt empfundene Massnahmen der Universitätsgerichtsbarkeit, drohte sie mit dem Auszug. Für eine kleine Universitätsstadt stellte diese Massnahne geradezu eine wirtschaftliche Bedrohung dar, pflegten doch die damaligen Studenten einen im Vergleich zu den sehr knapp gehaltenen Professoren sehr üppigen Le­bensstil. Endlich hatte auch der Landesherr ein lebhaftes Interesse die Beamtenpflanzschule auf seinem Territorium zu halten. Daher brachte oft schon die blosse Auszugsdrohung ein Einlenken. Geschah dies nicht, versammelte sich die Studentenschaft zu einem grossen Zug, verliess die Stadt durch die Stadttore und wartete in der näheren oder weiteren Umgebung der Stadt auf ein Einlenken. Blieb die Stadt oder Universität auch jetzt noch unnachgiebig, so konnte die Studentenschar ihr meist fröhliches Camp abbrechen, sich in alle Winde zerstreuen , oder geschlossen in eine Konkurrzenuniversitätsstadt einziehen. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts wissen wir von vielen Auszügen. Danach verliert der Auszug an Bedeutung: viele universitäre Neugründungen (etwas Zürich 1833) sind mit den Traditionen gar nicht mehr vertraut, die Bedeutung der Studentenschaft als Wirtschaftsfaktor nimmt ab, die Universität ist zunehmend an Örtlichkeiten gebunden (Laborplätze, Museen, Sammlungen) und die Ausweitung des Studiums führt zur Massenuniversität, die nicht mehr ausschliesslich in den studentischen Verbindungen organisiert ist. Zürich erlebt im Juli 1864 in der Polytechnikerrevolte den letzten Auszug, der ergebnislos blieb. Schon im nächsten Semester waren die Verluste des Auszugs durch Neueinschreibungen wettgemacht. Folgendes Fazit zog 1866 Theodor Muther zur verfassungsgeschichtlichen Entwicklung der Universität:

"Dort die freie selbständige Corporation, die sich selbst ergänzt und dem Wesen der freien Wissenschafft gemäss aus gleichberechtigten Commilitonen besteht, hier die Staatsanstalt, bei welcher die Corporation in den Hintergrund tritt, die in bureaukratischer Ober- und Unterordnung die Beamtenhierarchie der Neuzeit abconterfeit, die keine Selbständigkeit, ausser, dass sie über die ihr zuordnenden Mitglieder befragt wird."

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