Montag, 9. November 2009

Teuwsen, der Koran, die böse Weltwoche & der gute Greis


Peer Teuwsen feiert mit Roger de Weck die erste Schweiz-Ausgabe der "Zeit"

Einer der ersten Links den Google zum Schweizerisch-Deutschen Journalisten Peer Teuwsen findet, ist dieses Interview mit dem Rapper "Greis", einem der neuen shooting-stars der linken Szene in der Schweiz (Profil: Politologie-Studium, engagierte Texte, solidarisch mit allen Unterdrückten, Anti-Blocher). Als Constantin Seibt die "Wochenzeitung" verlassen musste, war Greis einer der Kolumnisten-Nachfolger des Erfinders der "Familie Monster". Nachdem Peer Teuwsen "Das Magazin" verlassen musste, war der nun eingebürgerte, geborene Deutsche einige Zeit Leiter "Kultur und Wissenschaft" bei der "Weltwoche". Das Rudel der gutmeinenden Mainstream-Journis der Schweiz strafte ihn dafür mit Liebesentzug: Sie hätten Teuwsen lieber als Arbeitslosen gesehen, denn als drittwichtigster Mann der Weltwoche. Der Rapper-Kolumnist der "Wochenzeitung" wähnte den Moment gekommen, einen "scoop" zu landen: die Entlarvung der SVP-Weltwoche durch das Knacken des "anständigen" Peer Teuwsen.

Unter dieser Perspektive muss das Interview gelesen werden, das drei Dinge zeigt: kritische Loyalität Teuwsens gegenüber seinem Arbeitgeber, betonierte Vorurteile im Kopf des Rappers und Unkorrektheit des WoZ-Kolumnisten im Umgang mit dem Interview-Partner. Die folgende Passage war "off-records" und wurde vom Interviewten nicht freigegeben:

Glaubst du, der Islam sei eine Religion der Gewalt?

Ich habe mal den Koran gelesen, und ich muss sagen, es ist ein sehr blutrünstiges Werk
.

Daraus sind drei Dinge zu schliessen:

1. Ein linker Gutmensch (dieser scheussliche Begriff scheint mir hier trotz allem angebracht) scheut keinen Bruch seiner Berufsethik im Bemühen die betonierten Vorturteile seiner Leserschaft bestätigen zu können (die Weltwoche muss islamophob sein)

2. Auf der Wochenzeitung gehen die Redaktoren davon aus, dass kein Leser der "WOZ" den Koran selber liest (dort glaubt man das Meinungsmonopol einer "Prawda" zu geniessen) und die Meinung, die Teuwsen "off-records" abgab allenfalls bestätigen könnte.

3. Ein seriöser, anständiger Journalist scheut derart die Vorurteile des Mainstreams (man darf zum Islam nichts Kritisches sagen), dass er einen echten Lese-Eindruck, den er unbefangen "off-records" abgab nicht autorisieren will.

Schliesslich hat Teuwsen mit dem "Türkentum" seine Erfahrungen gemacht: sein Interview mit Orham Pamuk brachte den türkischen Romancier in die Schlagzeilen der Weltpresse und verschaffte ihm angesehene Preise. Die Folgen seines Interviews schildert er in seinem eben erschienen Buch "Das gute Gespräch":

Als ich eines Abends den Fernseher anstelle, sehe ich in den Tagesthemen Bilder vom Prozess gegen Pamuk in Istanbul. Vor dem Gerichtsgebäude stehen Nationalisten und schreien: "Jude, Jude, Jude!". Eine Frau schlägt Pamuk eine Aktentasche auf den Kopf. Die Polizei steht mit verschränkten Armen daneben und schaut zu. Mich schaudert. Bin ich schuld an diesen Zuständen? Ich weiss es nicht. Der Prozess wird noch am selben Tag vertagt, das Verfahren schliesslich auf Geheiss von ganz oben eingestellt. Der Paragraph 301 wird entschärft. Im Oktober 2006 bekommt Orhan Pamuk den Literaturnobelpreis zugesprochen.

Das Buch, das Interview-Perlen mit wertvollen Einblicken in die Praxis eines Meisters bietet, kann allen nur empfohlen werden. Bescheiden im Anspruch, enthält es goldige Einsichten. Weil Teuwsen weder als bewundernder Jünger eines Meisters interviewt (wie seine Kollegin Katja Nicodemus (D)) noch als zynischer Zeitgenosse (wie sein Kollege Andre Müller (A)), noch als selbstverliebter Egomane (wie Roger Schawinski (CH)), sondern in allen seinen Gesprächen demütiger Schüler des Lebens und intelligentes Gegenüber bleibt.

Mit diesem Buch ist Teuwsen Schweizer geworden: eine knappe, schnörkellose, bescheidene Sammlung von Meisterstücken, die nicht mit den grossen Namen, sondern den Perlen der Einsicht in das Menschsein glänzt und das allen folgenden Interviewern deutscher Zunge stolz zuruft: "Machs na!"

PS: Ein kleiner Wermutstropfen: Herr Teuwsen kennt den Koran besser als die Bibel, der er - wie oft anständige Atheisten - süsslichen Schwachsinn unterstellt.