Samstag, 23. November 2013

Reformierte reif für den Bischof?

Auf Ende November läuft eine Vernehmlassung zum Verfassungsentwurf des SEK (Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund) ab. In der NZZ vom 14.November hat Philippe Welti beherzt für das im Entwurf vorgesehene Amt eines "evangelischen Landesbischofs" plädiert. Hier meine Entgegnung, die am 22.November als Leserbrief zu lesen war:


Man muss Philippe Welti, den praktizierenden Reformierten, verstehen:  welch ein Segen wär ihm in der Epoche der Personalisierung, der „social media“ ein fescher Bischof, der täglich twittert! Und Gottfried Locher ist ein würdiger episcopus, zumal im Geflecht der (ex-) staatskirchlichen evangelischen Christenheit der Schweiz Epi-Skopie, d.h. Über- oder Aufsicht, ja Super-Vision in der Tat nottut.

Doch Locher und Welti geben preis, was ValentinGiterman 1940 in die Worte fasste: 


Die presbyteriale Kirchenverfassung, geronnen im Schweizer Staatskirchenrecht, ist der Eidgenossenschaft Beitrag zum Weltkulturerbe, sie preiszugeben, hiesse den Calvinismus entwurzeln, ernsthafte swissness entkernen. Wenn sich die Schweizer Reformierten „re-formieren“ wollen, so ist des „höchsten Schweizer Protestanten“ Anrede das geringste Problem. Aber:  Ist ein Bischof ohne Bekenntnis denkbar? Was hätte der „Bischof“ der stolzen Berner Staatskirche, was dem Methodistenbischof zu sagen? Wie schafft das Amt Einheit, wenn sich die Thurgauer als „evangelische Landeskirche des Kantons Thurgau“ präsentieren, die Zürcher „reformierte Kirche Zürich“ als Corporate Identity führen? 

Die reformierten Kirchen haben sich zu lange von ratlosen Räten, bastelnden Behörden und hochbezahlten Spezialisten in Soziologie, Marketing, Organisation und Kommunikation ins Nirwana lotsen lassen. Ad fontes! Was war Calvin? Er war „modérateur de la vénérable Compagnie des pasteurs de Genève ». Was verlieh nach Calvin (†1564) den Reformierten Ausstrahlung? Das in Schottland, Polen, und Österreich-Ungarn vom Staat anerkannte, in den USA wirkungsmächtige „(zweite) helvetische Bekenntnis (1566) Heinrich Bullingers (†1574). 

Will Gottfried Locher wirklich wirksam wirken, so bewerbe er sich mit Taten- nicht um den Titel! – um den Nachruf eines „Moderator der verehrungswürdigen Tafel der Kirchen helvetischen Bekenntnisses“. Dem Abendland und den praktizierenden Reformierten wär besser geholfen, als es ein aus dem Sulgenauweg 26 twitternder Bischof je könnte.

Giorgio Girardet, Kirchenpfleger in Bubikon.

Sonntag, 3. März 2013

Kontroverse um Wilhelm Tell



Erstausgabe von Schillers «Wilhelm Tell» erschienen 1804.

Dass ausgerechnet Nationalheld Wilhelm Tell aus der Feder eines deutschen Dichters stammen soll, erhitzt seit jeher die Gemüter. Ob die Tellen-Sage nun von einem dänischen Märchen, einer Schweizer Legende oder doch von Schiller ins Leben gerufen wurde, erläutert Giorgio Girardet, freier Journalist/Historiker.

von Giorgio Girardet


so lärmt Dieter Moor, der TV-Moderator und Bauer, im deutschen Fernsehen. Absolut falsch! Als Friedrich Schiller (1759 - 1805) erst einjährig in seiner schwäbischen Wiege schaukelte, hat der Berner Berchtold Haller anonym – er wusste schon warum – bereits 1760 die Schrift «Wilhelm Tell: ein däni- sches Märgen (Märchen)» im Druck erscheinen lassen.

Ein Dänisches Märchen
Darin legte er dar, was Gelehrte schon 200 Jahre diskutierten: Dass die Tell-Sage auffallende Ähnlichkeiten mit der Erzählung des Apfel-Schützen Toko hat, die in der dänischen Geschichte (um 1210) des Saxo Grammatikus überliefert wurde. Hallers Schrift führte zu geharnischten Protesten der Urner und Innerschweizer auf der Tagsatzung. In Uri, wo Tell wie ein Landesheiliger mit einer jährlichen Wallfahrt verehrt wurde, übergab man die Schrift dem Feuer.
Tell spaltet und beschäftigt uns bis heute. Professor Georg Kreis hat in seinem lesenswerten Büchlein «Schweizer Erinnerungsorte» dem Tell eines der 26 Kapitel gewidmet.

Tell ein Hirngespinst?
Er verschweigt das «Weisse Buch zu Sarnen», das in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Staatsarchiv Obwalden entdeckt wurde und mit dem vermutlich um 1472 abgefassten Text als älteste schriftliche Fixierung der Schweizer Tellsage gilt. Kreis beginnt mit dem «Tell» als dem Hirngespinst der aufmüpfigen Bauern im Bauernkrieg 1653, wo die «drei Tellen» sich zu den Anführern der Entlebucher und Emmentaler Bauern gegen die «gnädigen Herren» aufschwangen. Die Tellengeschichte musste im Volk also schon damals allgemein bekannt gewesen sein.
Das ist nicht weiter erstaunlich, denn aus dem späten 15. und dem frühen 16. Jahrhundert sind die ersten Tellspiele überliefert, die bei freundeidgenössischen Besuchs- festen gerne aufgeführt wurden. «Wilhelm Tell» wurde als Sagengestalt zwischen Mor- garten (1315) und Marignano (1515) eid- genössisches Gemeingut. Und seine Bedeutung wuchs mit dem konfessionellen Gegensatz nach 1525.

Abraham und Isaak
Der Glarner Aegidius Tschudi (Katholik), wie auch der «Vater der Reformierten» und grösste Historiker Zürichs, Heinrich Bullinger, wiesen dem Tell beide in ihren Erzählungen eine tragende Rolle als Freiheitsheld zu.
Bullinger ist die Analogie der Geschichte von Tell und dessen Sohn Walter mit der Geschichte von Abraham und dessen Sohn Isaak aufgefallen. Während Tschudi als barocker Humanist sehr grosszügig fabulierend vom Heldenvolk der Helvetier ausging, dessen Tugend im Mittelalter verlorengegangen sei, in der Renaissance (1350 – 1519) aber wiedererstanden, ging Bullinger davon aus, dass die Zürcher als «Tiguriner» schon zu Abrahams Zeiten in Zürich gelebt haben und dass der Bund Abrahams mit dem Gott der Israeliten in der Eidgenossenschaft durch Zwinglis Reformation erneuert worden sei.

Ein Denkmal für den Widerstand
Warum beendete Schiller 1804 sein Lebenswerk mit dem Wilhelm Tell? Eine Rolle spielte nebst der Schweiz-Begeisterung der Epoche der todeswütige Widerstand der Nidwaldner 1799 gegen die Franzosen. Das machte Sensation in ganz Europa. Der Dichter wollte mit dem «Tell» diesem aktuellen Widerstand ein Denkmal setzen und zugleich seine Dramentheorie, die er nach dem Justizmord am französischen König 1793 entworfen hatte mit einem Meisterwerk krönen.
Der Tell mag also tatsächlich «ein dänisches Märchen» gewesen sein, doch als Symbol für den Volkscharakter hat er sich am besten in der Schweiz bewährt, so sehr, dass der deutsche Dichterfürst ihn in ewig Verse goss!

Erschienen in der Januarnummer 2013 von "Schiessen Schweiz"