Samstag, 30. Juli 2011

Zürich, Grillparzer, Nietzsche, der liebe Gott und der "Putsch"

Bei Recherchen im Internet ist uns ein Text von Franz Grillparzer begegnet, den wir unbedingt in die Willensnation einfügen wollen. Es ist ein wunderbarer Text voll Wiener Schmäh und Geist, in dem der konservative Katholik und k.u.k Beamte Grillparzer sich über die Zürcher Bemühungen lustig macht, die reformierte Religion des Zwingli-Kantons auf den "neuesten wissenschaftlichen Stand" zu bringen. Diese Bemühungen führten zur Berufung des jungen Dr. David Friedrich Strauss an die theologische Fakultät von Zürich, der mit seiner Schrift "Das Leben Jesu kritisch bearbeitet" (1835/36) für grosses Aufsehen sorgte. Er hatte in Berlin bei Hegel und Schleiermacher seine theologischen Studien vervollständigt und sah in Christus nicht mehr den "Sohn Gottes" sondern einen ausserordentlichen Menschen, um den sich ein Mythos gebildet hat. Professor Strauss trat seine Stelle nie an, weil die Bevölkerung des Zürcher Oberlandes sich ihre Religion nicht rauben lassen wollte und die liberale Regierung am 6. September 1839 wegputschte. Grillparzer antwortet auf das besänftigende Schreiben des Zürcher Bürgermeisters Hirzel (mit seinem Stichentscheid in der Bildungskommission wurde Strauss berufen) "An meine Mitmenschen im Kanton Zürich", das in der Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, vom 16. Februar 1839 eingerückt war.

Mein lieber Bürgermeister Hirzel!

Es muss in gegenwärtigen radikalen Zeiten für uns legitime Gewalten doppelt erfreulich sein, wenn wir Zeichen der Anhänglichkeit an unsere Person von Seiten her erhalten, von wo wir es am wenigsten vermutet hätten, namentlich von Freidenkern und aus Freistaaten. Die Allgemeine Zeitung vom 16. Februar hat mir daher unendliches Vergnügen gemacht. Sie sprechen darin klar und unumwunden Ihre Gesinnung gegen mich aus. Sie glauben an mich! Freundlicher Mann! Nehmen Sie dafür die Gegenversicherung, dass auch ich an Sie glaube, und zwar nicht bloß, dass Sie der Bürgermeister Hirzel sind, wie sie gütig annehmen, dass ein Gott sei, sondern ich schreibe Ihnen außerdem auch Eigenschaften und Wirksamkeiten zu; wo ich denn nicht weiß, ob Ihr schönes Bekenntnis rücksichtlich meiner sich ebensoweit erstreckt. Ich bin vorsichtig geworden. Ihr Freund und Lehrer Hegel glaubt auch an mich, ja er beweist mich, wobei er mich aber zur absoluten Allgemeinheit macht. Mein Herr Bürgermeister Hirzel! Ich bin nicht die absolute Allgemeinheit, so wenig Sie selbst etwa die Bürgermeisterwürde in Zürich, sondern der wirkliche Bürgermeister sind. Ich will nicht bloß sein, sondern auch handeln, schaffen, regieren, belohnen, strafen und dergleichen. Wollen Sie mir daher durch die Allgemeine Zeitung gefälligst zu wissen machen, nicht bloß, dass Sie mich glauben, sondern auch als was und wie.

Nicht verhehlen kann ich Ihnen übrigens schon jetzt, dass die Berufung des Professors Strauß auf die Universität nach Zürich mit meinen Wünschen keineswegs übereinstimmt. Er ist mit meinem Sohne fast ebenso umgegangen, wie Professor Hegel mit mir. Er glaubt zwar ebenfalls an ihn, heißt das all' ingrosso oder en bloc, zerrt und zupft dann aber wieder so lange an ihm, dass man zuletzt nicht mehr weiß, was davon übrig bleibt. Er nennt ihn zwar den tugendhaftesten und weisesten aller Geborenen, wenn er aber erst all seine Lebensumstände und Wunder zu Mythen, d.h. nach Hörensagen ausgebildeten und vergrößerten macht, so weiß ich nicht, warum jene belobte Weisheit und Tugend nicht ebenso mythisch ausgeprägt und überarbeitet sein sollte, wo denn der Name Christus das einzig Unzweifelhafte bliebe. Sie werden mir zwar einwenden, meines Sohnes Lehre stehe als Zeugnis seiner für immer unantastbar da; aber teils ist diese Lehre schon so mannigfach angetastet worden, teils habe ich genannten meinen Sohn nicht als Professor ordinarius auf die Universität Jerusalem geschickt, sondern in die Welt als Befreier und Erlöser des Menschengeschlechtes.

Was Sie von der Notwendigkeit sagen, die Fortschritte der Wissenschaft nicht zu hemmen oder auf gewisse Fächer zu beschränken, trifft ganz mit meiner eigenen Ansicht zusammen. Nur gebe ich Ihnen zu bedenken, dass vor der Hand Ihre Schweizer Bauern von der Religion nicht Aufklärung, sondern Heiligung und Versöhnung erwarten. Machen Sie deshalb Herrn Strauß zum Professor der Philosophie, und gelingt es ihm, als solcher Ihre Landsleute zu überzeugen, dass die Geheimnisse und Gnadenmittel der Religion zum seligen Leben überflüssig seien, so können Sie den Gehalt eines Professors der Theologie künftig in Ersparung bringen, ja die Auslagen für Kirchen und Pastoren im allgemeinen, was dem Budget Ihrer guten Stadt nicht wenig ersprießlich sein wird. Bis dahin lassen Sie die Äcker von den Ackersleuten bestellen und nicht von den Naturforschern.

So weit geht meine unmaßgebliche Meinung, der ich übrigens verbleibe

Ihr

wohlaffektionierter

GOTT m. p.

Nachschrift. Wissen Sie etwas Näheres von Rauschenplat und Mazzini? Man sagt, auch die Hannoveraner seien bei ihrer Regierung um die Erlaubnis eingekommen, eine Revolution machen zu dürfen? Sollten die Leute so kühn sein?

Der Pfarrerssohn Friedrich Nietzsche wird David Friedrich Strauss 1873 seine erste "Unzeitgemässe Betrachtung" widmen. So haben wir die Reaktionensweisen der drei deutschenNationen schön vereinigt: die deutschen Ideologen und Professoren schreiben Dissertation und Pamphlete, aus Wien kommt die beissende Satire, die frommen Zürcher Landleute erledigen die Sache mit einem "Putsch".

Der Text wurde kopiert von: www.payer.de/religionskritik/ . Es ist eine lustige Ironie dieser Site, dass er deutsche Freidenker "Payer" just nicht begriffen hat, dass diese Satire für und nicht gegen die Religion wirbt.

Donnerstag, 28. Juli 2011

Girardet und die "Weltwoche"

Sehr geehrter Herr Girardet

Schreiben Sie tatsächlich in der Weltwoche? Dann muss ich Sie hier leider wieder entfreunden. Ich bin so.

Herzlich

S.M.


Da es unter den dintenglecksenden, plapperenden, bloggenden und filmenden Kollegen immer wieder wohlmeinende KorrektdenkerInnen und HüterInnen des Anstandes gibt, welche aus der Tatsache, dass die "Weltwoche" ab und zu Texte aus meiner Feder druckt, ableiten, ich gehöre einer faschistischen Untergrundorganisation an, einem Netzwerk von Rechtsextremen oder sympathisiere mit dem Monster von Norwegen, sei hier meine ganze "Interessenbindung" mit dem Blatt "Weltwoche" dargelegt.

1. Text zur "Weltwoche": für meine Kolumne "swissness: Girardets kleines Lexikon der Schweiz" verfasste ich um 2004 ein kurzes Porträt von Roger Köppel, das in der Schublade liegenblieb (ich brachte es nicht auf 3'500 Zeichen hinunter), bis es auf "facts.ch" freigeschaltet wurde: 27. November 2007 "Solidschweiz, die "

2. Text für die "Weltwoche": von Roger Köppel ermutigt, verfasste ich im Herbst 2007 ein Abwahl-Manifest für Bundesrat Blocher: "Räte! Lasst Herrn Blocher müssig gan!"
Dieser Text erschien nicht in der Weltwoche, sondern auf der damals der "Tamedia" gehörenden Online-Plattform "facts.ch", die vom Online-Tausendsassa Oliver Reichenstein von "Information Architects" mit Kollegen lanciert worden war. Den Artikel bot ich damals dem "Tages-Anzeiger", der "Basler Zeitung" und dem "Bund" an. Keines der Blätter wollte sich mit dem Artkel exponieren. Für meine Arbeit am Artikel gegen Blocher erhielt ich von Köppel ein Ausfallhonorar von Franken 500. Von der Tamedia einen Früchtekorb aus der Globus Delikatessenabteilung in ähnlichem Wert.
Link
3. Text Im Zusammenhang des Geschlechter- und Demografie-Diskurses stellte ich das in den gesammlten Werken neu greifbare Ehebuch des Zürcher Reformators Heinrich Bullinger vor unter dem - zugegebenermassen - provokanten Titel: "Das Ehebuch des Patriarchen".

4. Text für die "Weltwoche": "Schiffbruch im Feuchtgebiet" (Rezension der DVD-Ausgbe der "Räuberinnen" von Carla Lia Monti) Bei diesem Text stammen weder Titel noch der Schlusssatz aus meiner Feder. Link
5. Text für die "Weltwoche": "Käse und Geist" über das "Gotthelf"-Musical von Charles Lewinsky auf der Thuner Seebühne.

Dies sind die bisher von mir im Zusammenhang mit der "Weltwoche" (dem Blatt, das aus der Hölle kommt) verfasssten Artikel. Einiges hätte ich gern - zu wesentlich geringerem Honorar - etwa für die "Wochenzeitung" geschrieben, aber von der feministischen Schreibkolchose erhielt ich vor Jahren durch Email der Bossin Susann Boos folgenden Bescheid:

„Sehr geehrter Herr Girardet
Sie haben bei uns kein Schreibverbot, wir haben einfach kein Interesse, Texte von Ihnen abzudrucken. Und daran hat siche nichts geändert.“
Meine Parteinahme für die EVP

"Wer also nicht als Anwalt oder als Treuhänder arbeitet, kein Bauland zu verkaufen hat, aber partout nicht links wählen möchte, sollte sich eine Alternative überlegen: Die einzige bürgerliche Partei, die gegen vom Volk nie beschlossene Geschenke für bereits Reiche stimmte, war die EVP."
(Constantin Seibt, im "Tages-Anzeiger")

habe ich in der Schweiz-Ausgabe der "Zeit" dem lesenden Publikum transparent gemacht und begründet.

Ich hoffe, wer künftige wider mich polemisieren will, hat damit eine etwas bessere Grundlage, und wird keinen derartigen Käse über mich zusammenschustern, wie dies Prof. Dr. Georg Kreis, ehemaliger Präsident der eidgenössischen Antirassismus-Kommission unlängst in der "Basler Zeitung" sich meinte erlauben zu dürfen (auf den Professor klicken, um das Elaborat lesen zu können).


Link

Montag, 25. Juli 2011

Indro Montanelli deutsch

Das Thema Montanelli sei noch mit einem Post beschlossen, das die Rezeption in Deutschland spiegeln soll. Hier lässt sich ähnliches sagen, wie es sich im Zusammenhang von Hans Habe in einem Post angedeutet habe: Montanelli ist - auf dem Buchmarkt - in Deutschland das Opfer der "Kulturwende" von 1968 geworden. Der Schweiz kommt der Vermittlung der norditalienischen Italianità im deutschen Sprachraum eine entscheidende Bedeutung zu, weshalb es angemessen ist, davon in der "Willensnation" zu handeln.

Es ist der Zürcher Europa-Verlag von Emil Oprecht der 1946 die Tragödie "Die drei Kreuze" (Qui non riposano) auf Deutsch herausbringt.

Damit wird Montanelli in Deutschland erst als Dramatiker, dann als Causeur und Populär-Historiker wahrgenommen. Wobei das deutsche Publikum sich auf die Antike und Garibaldi beschränkt:

Montanelli, Indro. Wenn ich so meine lieben Landsleute betrachte. Übers. Von Hans E.Günther. 1954, 1957, 1960 (offenbar ein Erfolg der biederen 50er Jahre)

Montanelli, Indro. Eine Geschichte Roms. Übers. Von H.E.Günther. 1959 (430 S.) (auch die Bildungsbürger entdecken ihn)
Montanelli, Indro. Personaggi d’oggi: Italienische Zeitgenossen. Zweisprachig italienisch-deutsch. Edition Langewiesche Brandt, 1963 (Sprachdidaktik und Völkerverständigung im EWG-Raum)

Montanelli, Indro; Mario Nozza. Garibaldi. Deutsche Verlagsanstalt, 1964 (renommierter Verlag, wieder was für den Bildungsbürger)

Montanelli, Indro. Questi Romani! – Diese Römer!. Geschichten aus der Antike. Dtv, 2006 (das letzte noch heute lieferbare Buch von ihm auf Deutsch)

Der Austritt aus dem "Corriere della Sera" 1974 führte dazu, dass er nun als "Faschist" galt. Darum wurde er im deutschen Sprachraum in der Zeit der Romantik des "Euro-Kommunismus" nicht mehr wahrgenommen und nicht mehr übersetzt. Obschon er als Journalist auch in deutschen Zeitungen gedruckt wurde.

Artikel für die "Zeit": Montanelli schrieb von der ersten Stunde an für die "Zeit" 1949 - (im Zeit-online-Archiv einsehbahr).
Entscheidend ist dieser Artikel hier aus dem Jahr 1965, in dem Montanelli die Sicht der Italiener auf Deutschland schildert. Danach scheint Montanelli nicht mehr für die "Zeit" geschrieben zu haben wurde aber oft in "Zeit"-Artikeln als Referenz zitiert. Es war die Zeit der Linke und er wurde nun als "ultraliberal" etc. bezeichnet.

Für den "Spiegel" schrieb er noch 1980 eine luzide Analyse Italiens.

Aufmerksamkeit erregte er wieder 1994, als er seine Gründung "Il Giornale" dem politisierenden Verleger Berlusconi zurückliess und 83jährig eine neue Zeitung "La Voce" gründete. Zeit

Schriftgrad
Und schliesslich wurde er nun zum viel-zitierten Anti-Berlusconianer. Aber nichtsdestotrotz wurden scheinbar keine Bücher mehr von ihm in Deutschland herausgebracht: die Linke hatte andere "Lieblings-Intellektuelle": Umberto Eco, Norberto Bobbio, etc.

Zum Abschluss darum noch die Nachrufe, die in Deutschland nach dem 22. Juli 2001 erschienen, die verlinkbar sind. Der Nachruf von Dietmar Polaczek in der "Zeit" ist nicht linkbar. Spiegel,
Die Welt Die Tageszeitung.

Update 4.8.2011:
Posthum sorgte Montanelli nochmals für Schlagzeilen durch die Arbeiten der Schweizer Historikerin Renata Broggini, welche anhand der Quellenlage in Schweizer Archiven den grossen Journalisten in verschiedenen Punkten der Lüge überführte. Bericht hier. Die Erfindung von Zitaten war bei Montanelli eine notorische Sache. Eine Rezension des Buches der Broggini und Einschätzung des ehemaligen Italienkorrespondenten der NZZ, Rudolf Stamm (R.St.) bot die NZZ vom 24.10.2008 "Indro Montanelli auf dem Seziertisch":
"Warum dieser eigensinnige, unkonventionelle Schreiber den beschriebenen Schwächen zum Trotz zu einem der führenden Journalisten Italiens und Europas geworden ist, lässt sich dem Buch nicht entnehmen. Weshalb ihm die Brigate Rosse in die Beine schossen und Silvio Berlusconi Montanelli 1994 aus dem von diesem gegründeten «Il Giornale» hinauswarf, steht nicht zur Debatte. Immerhin lässt Broggini der journalistischen Leistung durch einige Zitate Gerechtigkeit widerfahren; er wird als hervorragender Fresco-Maler und Meister des richtigen Ambiente beschrieben. Was die Objektivität angeht, wird Montanellis eigene Auffassung angeführt: Sie bestehe nicht in der Genauigkeit der Einzelheiten, sondern in der Aufrichtigkeit."
Ergänzungen durch die werten Leserinnen und Leser sind sehr erwünscht.
Fett Kursiv Schriftfarbe
Link
Linksbündig Zentriert Rechtsbündig Blocksatz
Nummerierte Liste Aufzählung Blockzitat
Rechtschreibung überprüfen