Samstag, 29. Oktober 2011

Der Souverän will keine "Konfessionslose"


„Wahltag ist Zahltag“ spricht der Volksmund. Es soll hier darum der elektorale Erfolg des nicht gewählten Präsidenten der Zürcher Sektion der „Freidenker“ und Frontmannes der „Konfessionslosen“, Andreas Kyriacou („klinischer Linguist“, „Neuropsychologe“, Doktorand, Unternehmer oder je nachdem auch „Berater für Wissensmanagement“) untersucht werden. Zur Vorgeschichte: Andreas Kyriacou politisierte auch bei den Grünen des Kantons Zürich, wo er in verschiedenen Vorständen (Stadt, Kanton, Nationalpartei) anzutreffen ist. Die Wahl in den Zürcher Kantonsrat verpasste er aber auf der Liste der Grünen Partei, während die "Piraten" immerhin das beachtliche Resultat von 0,58 % (Nullkommafünfacht) erreichten. Nachdem er als Schulpfleger resignierte, verlegte er, der auch im Vorstand der Secod@s mitwirkt, seine Aktivitäten auf die „Freidenkerei“. Eine gute Wahl, denn der überalterte serbelnde Verein (gegr. anno 1908) schaffte es ab 2008 mit rührigem Aktivismus der neuen Geschäftsführerin Reta Caspar (NZZ-Porträt) sich in den Medien überaus effektvoll darzustellen („Club“, „Arena“, „Beobachter“, „NZZ am Sonntag“). Auch Andreas Kyriacou ist ein Meister der PR. Er durfte im „Mamablog“ und im edleren „NZZ-Votum“ für seine Anliegen der religionsfreien Gesellschaft werben. Ja die NZZ adelte den Freidenker-Präsidenten, der auch in der „Zeit“ von einer Journalistin porträtiert wurde (als Werbung zum denk-fest der Freidenker), in dem sie ihm als „Bildungsexperten“ die Spalten der renommierten Seite „Bildung und Gesellschaft“ (NZZ vom 26.Oktober 2011: „Missionarischer Alleingang“) füllen liess. Dies weil die Freidenker gegen das neue, mühsam geschaffene Fach „Kultur und Religion“ ein Sperrfeuer der Kritik erhoben. Kyriacou beschloss nach der Nichtwahl auf der Liste der Grünen und ermutigt durch mediale Aufmerksamkeit, eine Allianz der "Rationalisten". Zu der schon gut eingeführten "Alternativen Liste" (Grosser Erfolg Volksabstimmung gegen die Pauschalbesteuerung) wollte er mit dem Treibsatz der trendigen "Piraten" (in Winterthur schon ein Sitz im Gemeindeparlament, gemeinsames Ziel: "Laizismus") die Sache der Konfessionslosen verknüpfen.

Wie gesagt: Wahltag ist Zahltag. Es lohnt sich anhand der Panaschierstatistik die Wirkung Kyriacous im Parteispektrum zu prüfen. Wir stellen die Panaschierstimmen Kyriacous jenen der am meisten als „konfessionell“ exponierten Kandidatin einer Kleinpartei: der in den Nationalrat gewählten Winterthurer Stadträtin Maja Ingold (EVP) sowie dem berühmtesten Zürcher Kandidaten Christoph Blocher (SVP) gegenüber.

Link

(Grafik zusammengestellt aus der Panaschierstatistik des Statistischen Amtes des Kanton Zürichs)

Die grafische Darstellung zeigt überdeutlich: der konfessionslose Kyriacou holte am meisten Panaschierstimmen bei den "Progressiven" links der GLP (Grüne, SPS), dort ist er - wenig überraschend - "wählbarer" als Chrisoph Blocher. Aber selbst bei bei diesen Parteien überwogen die Panaschierstimmen für die gestandene bürgerliche Politikerin der EVP haushoch. Einzig auf seiner eigenen Liste schlug Kyriacou (erwartungsgemäss) Christoph Blocher und Maja Ingold. Immerhin holte er mehr Panaschierstimmen auf der SVP Liste als Christoph Blocher. Was aber deutlich sichtbar wird: die Wahlempfehlung für Christoph Blocher des NZZ-Chefredaktors und Konsorten (Filippo Leutenegger &Co.) wurde deutlich gehört. Die FDP ist die einzige Partei, die - SVP inklusive!! - Christoph Blocher elektoral mehr honorierte, als die trockene, pragmatische Maja Ingold. Die Sache der "Konfessionslosen" ist aber trotz grossen medialen Lärms beim Stimmbürger - wie auch die Piratenpartei - als Spinnerei von Extremisten erkannt worden: Chancenlos. Noch am 1. Oktober 2011 schmeichelte sich der "Rationalist" Kyriacou auf dem Blog des Ständeratskandidaten der Grünen mit folgenden Worten ein:

Die Listenverbindung Konfessionslose, Piraten & AL hat den Sitz fast auf sicher. Wer auch immer aus dieser Listenverbindung das Rennen macht, die oder der Gewählte wird in Bern mit grösster Wahrscheinlichkeit zuallererst bei der grünen Fraktion anklopfen. Die Listenverbindung hat also das Potential, die Grünen auf schweizerischer Ebene zu stärken – und innerhalb der Fraktion das rationalistisch tickende Lager…

Die Zürcher Grüne Liste schafft es auch ohne Steigbügelhalter, den vierten Sitz zu halten.

Seit dem 24. Oktober wissen wir: weder gelang es seiner Listenverbindung den einen Nationalratssitz zu erobern, noch gelang es den Grünen ohne Unterstützung Kyriacous und seiner "Rationalisten" den vierten Sitz im Kanton Zürich zu sichern. Kyriacou scheitert auf der ganzen Linie. Schade um die AL (Alternative Liste), eine Partei die Erfahrung und kluge Köpfe hat. Aber man soll eben nicht im Trüben fischen wollen. Was ich schon immer vermutete: diese "Rationalisten" sind besoffen von der "Vernunft" aber sie haben wenig "bon sens" und schon gar keinen "common sense".



(bildquelle: Konfessionslose.ch offizielles Foto),

Dienstag, 25. Oktober 2011

#occupyparadeplaz in der reformierten presse

Liebe Besetzer des Lindenhofs, folgende Kolumne erschien am vergangenen Freitag, den 21. Oktober in der "reformierten presse", dem Organ, das alle Pfärrer, Kirchenpfleger, Kirchenleitungen und Angestellten der reformierten Landeskirchen (in allen Kantonen) der Schweiz zu sehen bekommen.
Hier im Blog ist auch die in der Kolumne erwähnte Karte beigefügt. Damit es alle sehen und lesen und nachvollziehen können. Zürich ist die Wiege der Reformation, wo der "Geist des Kapitalismus" (Max Weber) flügge wurde. Vielleicht kann hier aus den Aschen des alten Finanzplatzes ein neuer Phönix auferstehen.

Die Spitze von Manhatten 1703, einst "Neu-Amsterdam" dann "New York" mit der Wall-Street






Seit letztem Wochenende wird auch in Zürich demonstriert. Eine ältere Frau, die am Fusse des Bachtels vor allem der Kontemplation lebt, ist auch aufgebrochen und hat sich unter die demonstrierende Jugend gemischt. Ein grosser Umbruch sei im Gange, beschied sie mir. Ist Religion doch kein Opium, wenn diese Frau die Klause der Kontemplation verlässt und sich unter die Jugend mischt? Ist es Abrahams alter Ur-Durst nach Gerechtigkeit, der sich hier Bahn bricht und über den Atlantik wieder nach Zürich zurückbrandet? „Wall-Street“ ist zur Chiffre für das börsentechnische Babel geronnen. Die „Märkte“ sind der Moloch unserer Tage. Die „unsichtbare Hand“ - von Adam Smith als gütige Linke des Schöpfers gedacht - ist zur scheffelnden Schaufel ruchloser Gierhälse verkommen. Was sagen wir Reformierte dazu? Steht hier nicht die jüdisch-christliche Tradition des „Guten Hirten“ auf dem Spiel? Dieser in gefestigtem Gottvertrauen vorausschauende, gerechte Hüter und Heger, der auf dem Fünfliber prangt. Er ist umgeben von den 13 Sternen der 13 Orte der Alten Eidgenossenschaft und dem der Vulgata entnommenen Motto: „Dominus providebit“. Diesem Ethos des Guten Hirten dankt Wall-Street ihren Aufstieg zum Nabel des Finanzvertrauens. Im historischen Atlas von New York (Henry Holt&Company, 1994) ist auf Seite 40 ein Plan von New York um 1703 zu sehen. Wir sehen da, das geistliche Fundament der heutigen „Wall-Street“. Da lag südlich die „Old Dutch Church“ (Calvinisten), Richtung Broadway das „Presbyterian Meeting House“ (Calvinisten) am Broadway neben der Trinity Church war die „Lutheran Church“, weiter nördlich die „French Church“ (Hugenotten) und noch weiter die „New Dutch Church“ (Calvinisten). Die Wurzeln der „Wall-Street“ liegen also in Zürich, wo 1519 ein Hirtensohn aus dem Toggenburg ausgestattet mit Hirtenherz und -gewissen und dem besten Humanistenwissen seiner Zeit die Kanzel des Grossmünsters bestieg. „Tut um Gottes Willen etwas Tapferes“ Wer hört ihn heute?

Freitag, 21. Oktober 2011

Schweizerspiegel: Am Tisch wider die Zeit




Die Oltener Intelligenzija hat sich eine Beiz gekauft


VON GIORGIO GIRARDET

Es gibt seit Kurzem ein Widerstandsnest, ein gallisches Bandenversteck. Und das mitten im verkehrstechnischen Herzen der Schweiz. Aber bis es so weit war, sahen sich die drei widerständigen Schweizer vor ein fast unlösbares Problem gestellt.

Der Schriftsteller Alex Capus, ungekrönter "König von Olten" und Präsident der SP-Ortsfraktion, ist als Erster am Ort des Geschehens und erklärt das Problem: "Am Namen Flügelrad wollten wir festhalten, aber heute wird ein Flügelpaar grafisch sofort mit Faschismus assoziiert darum mussten wir das Logo sehr wolkig gestalten."
Vier Jahre lang hing das Schild "Wegen Unfall geschlossen" in der grossen Fensterfront, dann setzten sich Capus und Werner de Schepper, die sich seit ihren Anfängen im Oltener Lokaljournalismus kennen, in Bewegung.

Pedro Lenz stiess zu den beiden Oltner "giue". Werner de Schepper wurde als "Schwiegermuttertraum" auf die hüftoperierte Besitzerin angesetzt. Lange hoffte sie, das Flügelrad, eine Traditionsbeiz der Eisenbahner zwei Schritte neben der Bahnhofshalle, wieder zu eröffnen. Schliesslich verkaufte sie. Als sie im Dezember bei der Neueröffnung im Rollstuhl über den versiegelten Riemenboden glitt, den sie einst mit dem Blocher bohnerte, weinte sie Tränen der Rührung.

Stolz zeigt Capus im Keller den schweren Eichentisch, den man aus dem Natursteingewölbe nicht wird entfernen können: "Hier wollen wir gut essen, gut trinken, erzählen und auf den Tisch klopfen." Man glaubt dem Hünen jede Silbe. Viertel vor zwölf, die ersten Gäste treffen ein.
Für 17 Frankengibt es ein Einheitsmenü à discrétion: 15 Franken darf der Steuerzahler in Solothurn für "Mehrkosten für auswärtige Verpflegung" abziehen: Es soll eine Büezer-Beiz bleiben. Chüschtige Älpler-Maggronen sind es heute am Montag, Gemüsesuppe und Salat inklusive. A la carte gibt es abends. "Das ist eben gut katholisch", verkündet der stellvertretende Chefredaktor der Aargauer Zeitung, Werner de Schepper, am Tisch, "es soll hier keiner hungrig vom Tische gehen, das ist burgundische Tradition."
Ein gemischtes Publikum, Freundinnen, Familien, Angestellte, Studenten findet sich ein. Unweit auch das Isebähnli, eine der ersten Genossenschaftsbeizen der alternativen Achtziger. Aber die drei Musketiere haben eine Aktiengesellschaft gegründet und, was sie mit Worten erworben, in die Rettung der Bähnler-Beiz gebuttert.

Der Verwaltungsrat in corpore sitzt mit dem Chronisten am Runden Tisch. "Du sorry, ig mues det chli lose", entschuldigt sich Lenz, der mit einer Migros-Tasche voller Bücher von seiner Agentin geschickt wurde, "die giue mache süsch gäng projekt oni mig."
Was im Flügelrad ausgeheckt wird, beschäftigt den Stadtrat von Olten. So geisselten Capus im Stadtanzeiger, dem amtlichen Publikationsorgan der Stadt Olten, und de Schepper in der Aargauer Zeitung im Zangenangriff den verpassten Ankauf einer Liegenschaft für die Museen der Stadt. Ob man eine Gegendarstellung einrücken könne, soll der Stadtrat interveniert haben. Unmöglich: Capus und de Schepper hatten nichts als die lauterste Wahrheit geschrieben.

Ein Leichtes wär es, aus der Gaststube, die 30 Bahnminuten vom Hauptbahnhof Zürich, 26 vom Bahnhof Bern und 25 von Basel SBB entfernt liegt, einen trendigen Literatentreff zu machen. Aber nichts da. Die an Stangen gehefteten Zeitungen lagern in den Original-Köchern, eine Ikone der biederen Solidschweiz.
Ein Verleger aus Weinheim, der Alex Capus in Deutschland lesen gehört hatte, ist mitsamt seiner Familie von der Autobahn nach Spanien abgewichen, um im Flügelrad einzukehren. Bankett-Gäste fragen, ob der Pedro, der aus seiner Wohnung über der Gaststube sein burgundisches Dialektreich regiert (Shortlist Schweizer Buchpreis 2010 Der goali bin ig, bald als Hörbuch und demnächst als Film), zum Dessert noch was lesen könnte. Alex Capus ist mit Léon und Louise auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Die Oltener Stadtväter knobeln schon, ob und wer, wenn der "freche Siech" es auf die Shortlist schaffen sollte, ein Reisli nach Frankfurt machen wird. Im Flügelrad ist die "Schwerkraft Olten" (SBB-Slogan) der suisse profonde zur Gaststube geworden, vielmehr: geblieben. Wider die Zeit.

Der Text erschien zuerst in der "Zeit (Schweizausgabe)". Text und Fotos: Giorgio Girardet.

Der fertige Text im Laptop, im Flügelrad mit Capus' Kolumne und einem Mass Rivella.


Ein letzter Blick zurück aus der Oltener Bahnhofshalle.


Sonntag, 9. Oktober 2011

Gender Studies: Meier, bei Ammann

von Giorgio Girardet

Der eheliche (der nicht der leibliche sein muss) Vater gibt dem Kind den Nachnamen. Dieser Grundsatz wird durch den Änderungsvorschlag der Rechtskommission des Nationalrates, im Streitfall den Nachnamen der Mutter dem Kind zu geben, auf den Kopf gestellt. Erstaunlich: Diese Regelung wurde auf Anraten eines alten Mannes (Prof. Cyril Hegnauer) in einer wohl männlich dominierten Kommission fast einstimmig getroffen.
Wie gehen aber emanzipierte Mütter mit dem Namen ihrer emanzipierten Töchter um? Eine kleine Beobachtung aus dem Alltag.
Wenn ich ehemalige Studienkolleginnen zu Hause anrufe, kommt es vor, dass ich auf deren haus- oder kinderhütende Mütter stosse. Wie melden sich diese Mütter emanzipierter Töchter, die entweder im Konkubinat leben oder ihren Ledignamen behalten haben, am Telefon? Zum Beispiel so: "Meier, bei Ammann." Wer ist Ammann? Der Schwiegersohn natürlich. Das Verwunderliche: So torpedieren gestandene, emanzipierte Frauen das Bemühen ihrer Töchter, ihren Ledignamen zu behalten. Erstaunt über diese Sabotage des von Frauen hart erkämpften Ledignamens durch die eigenen Mütter, begann ich mir Gedanken zu machen. Ich kam zum Schluss, in der Meldung "Meier, bei Ammann" komme ein gewisser Stolz und auch eine Erleichterung zum Ausdruck. "Gewiss, ich hüte hier Haus und Enkelkind, aber meine Tochter ist nicht alleinerziehend, sie ist in festen Händen, sie hat es gut, für dieses Haus bin nicht ich zutständig, dies ist das Haus von Herrn Ammann." Dies auch wenn an der Türglocke und auf dem Briefkasten der Wohnung in korrektester Gleichstellung beide Namen prangen: J.Meier/R.Ammann. Die enkelhütenden Mütter waren in beiden Fällen keine Huschelis. Nein, eine hat ihre Tochter allein im Feminismus erzogen, die andere ist eine tüchtige Geschäftsfrau. Die Töchter erzielten höhere Gehälter als ihre Lebenspartner.
Das Patronym, liebe Rechtskommission, hat eine gesellschaftliche Ordnungsfunktion, die offensichtlich von gestandenen, emanzipierten Frauen, wenn es um ihre eigenen Töchter geht, geschätzt wird. Die von feministischen Männern vorgeschlagene Regelung schüttet das Bad mit dem Kind aus. Sie wird - sollte sie das Parlament passieren - toter Gesetzesbuchstabe bleiben. Denn, wie Kinder und Familien heissen, entscheiden nicht alte Männer (Cyril Hegnauer) oder progressive Scheidungsanwälte (Daniel Vischer) in Kommissionen, sondern die enkelhütenden Grossmütter am Telefon. Und die halten auf Ordnung.
(girardet@uerte.ch)

Erschien zuerst in "Das Magazin" Nr. 50 / 2006

Samstag, 1. Oktober 2011

Schweizerspiegel: Ein Held der Freiheit

"NZZ"-Chef predigt in Zürich

Die Kirche Neumünster könnte mit ihrem pompösen Klassizismus auch den Calvinisten Neuenglands dienen. Das Zürcher Englischviertel kündet in Sandsteinvillen von den Grosstaten der Gründerjahre. Und genau hier entwickelte Markus Spillmann, Chefredaktor derNeuen Zürcher Zeitung, im Abendglanz des eidgenössischen Bettags seine Gedanken.
Der brillante Leitartikler und weit gereiste Sicherheitsexperte sprach zum Thema Freiheit. Er begann mit dem gefühlten Unterschied zwischen den Überwachungskameras Grossbritanniens in der Liverpool-Station in London und jenen in dem Tiananmen-Platz in Peking. Hier der demokratische Rechtsstaat, der die Sicherheit seiner Bürger gewährleistet. Dort der diktatorische Machtstaat, der dem Genossen mit Misstrauen begegnet. Mit diesem Beispiel will er seine Definition von Freiheit erklären. Dass Markus Spillmann dies tut, ist der Hartnäckigkeit einer tauben Dienerin am göttlichen Wort zu verdanken, der Pfarrerin Katrin Müller.

"Freiheit" habe etymologisch einen intimen, innigen Kern und sei nicht nur Rechtsbegriff. Sie habe jedoch ihre Grenzen, zei zugleich Verpflichtung, Würde, Mahnung und Verantwortung. Spillmann wählte eine Kampagne der Stadtverwaltung Zürichs zur Auslegung: "Erlaubt ist, was nicht stört". Möglichst wenig soll verboten sein - vor allem in der Finanzwelt wird er später während des Apéros präzisieren. Der NZZ-Chef appelliert an die Vernunft des Menschen: der Rahmen müsse so gestaltet sein, dass dieser nicht breche.

Ein Bettagslied umrahmte die Predigt in der Kirche Neumünster, die im Quartier steht, wo der Chefredaktor wohnt und heimisch ist. Und es klang so schön:
Beschirm uns, Gott, bleib unser Hort
erhalt uns durch dein gnädig Wort
und sichre Freiheit, Fried und Recht
uns und dem spätesten Geschlecht.
Herrlich, wie das alles zusammenpasste!

Beim Abendmahl blieb der getaufte, aber nur bedingt gläubige Protestant Spillmann sitzen. Man wunderte sich kurz - um dann zu schlussfolgern: So frei fühlt sich offenbar einer der wichtigsten Journalisten des Landes unter Christen! So frei, dass er es wagt, der Tradition von deren Freiheits-Sakrament zu brechen - allein aus Respekt vor ihrem Glauben. Wahrlich, der Mann ist ein Held der Freiheit!
LinkGIORGIO GIRARDET

(Erschienen in der "Zeit" (Schweiz) vom 22. September 2011)