Dienstag, 9. September 2008

Über den "Bruch" von 1968 zurück visieren

"Oder der Publizist Hans Habe: ich hatte von ihm einen oder zwei Zeitungsartikel gelesen und mich gewundert, wie jemand so klug und elegant schreiben konnte. Als ich aber später mitbekam, dass er die Studentenbewegung kritisierte, war er für mich erledigt. Vor kurzem las ich zum ersten Mal in seinen Schriften und entdeckte einen brillanten Autor mit einer faszinierenden Biografie, dessen Polemik gegen die 68er scharfsichtig und präzis war und der deswegen aus den Debatten verschwand. Als er 1977 in Ascona starb, war er für die meisten Jüngeren ein Unbekannter. "
Eugen Sorg, "1968: Klassenfoto" in: Weltwoche 09/2008


Die Ergebnisse des verklärten Umbruchs von 1968 werden derzeit von den ergrauten "Siegern" in den Medien und auf den Lehrstühlen geschrieben. Ich möchte aber ausgehend von der selbstkritischen Bemerkung Eugen Sorgs in diesem Post auf die "Verluste" dieser Revolte hinweisen. Denn bei Lichte betrachtet erscheinen die Leistungen der gerühmten 68er nicht immer im grellsten Licht. Die Generation, die auszog, die Mythen der Väter zu zertrümmern und auf eine schwammig skizzierte "Utopie" lossteuerte, hat vieles in Grund und Boden gestampft, was eigentlich durchaus mehr Beachtung verdient hätte und wohl vor der Geschichte mehr Bestand haben wird als manche geschraubte Konstruktion dieser "Erneuerer". Der amerikanische Historiker Anthony Grafton sagte mir einmal - auf seinen Balzan-Preis (2002) als Ausweis von Brillanz angesprochen - : "Ach wissen Sie, das hat mit Brillanz nichts zu tun, in meiner Generation (*1950) genügte es schon fleissig zu sein, irgendwann war man dann ein "Sonderfall". Die sogenannten 68er haben den Marsch durch die Institutionen in der Toskana beendet".


Es lohnt sich also die Brockenhäuser und Antiquariate nach den heute vergessenen Büchern zu durchforsten, die nun aus den Nachlässen der wegsterbenden "vor68er" für neue Leser und Interpretationen frei werden. Denn wenn meine Generation noch im "Mythos von 1968" gross geworden ist, so ist es die Aufgabe der nun heranwachsenden Generation, wieder in kreativer Aneignung der Tradition Kontinuitätslinien über den etwas überschätzten Bruch von 1968 hinwegzuziehen und die angeblich "zerstörten Mythen" für sich neu zu entdecken. Wir leben also heute durchaus in aufregenden Zeiten.

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