Mittwoch, 6. Oktober 2010

Schweizerisches Sozialversicherungsrecht: Eigenheit und Herkunft

Ein nützliches Büchlein zu lesen "im Schnellzug nach Paris"

Mit heutiger Post erreicht die "Willensnation" ein ebenso handliches, wie auch nützliches Büchlein vom Lehrstuhl von Prof. Erwin Murer (Departement für öffentliches Recht; Lehrstuhl für Arbeits- und Sozialversicherungsrecht) der Universität Freiburg im Üechtland. Es gemahnt an eine wissenschaftliche "Notration" wie sie in Italien vom Verlag Bignami oder vom Schweizer Verleger "Ulrico Hoepli" zu vielen Gegenständen herausgegeben wurde.
Das Thema des Büchleins "Schweizerisches Sozialversicherungsrecht" tönt arg trocken, aber es wird uns in den nächsten Jahrzehnten in mancher politischen Diskussion begleiten. Und Erwin Murer gelingt es in analytischer Strenge auch einem Laien die Materie nicht nur systematisch sondern auch historisch vergleichend näher zu bringen. Wo steht unser Sozialversicherungssystem im europäischen Vergleich? Wie hat es sich historisch entwickelt? Wo liegen die Fallgruben und Ansatzpunkte zu nötigen Revisionen? Schon ein erstes überfliegen des Bändchens zeigt, dass es auf alle diese Fragen in einer verständlichen, wetterfesten Sprache Antwort zu geben gewillt ist. Darum ist dieses Büchlein nicht hoch genug zu preisen. Es passt in die Lederjacke des Maturanden, wie auch in den Blaumann des Gewerkschafters und müsste in jedem Wachtlokal der Armee neben den Reglementen ebenso aufliegen, wie in jedem Nail-Studio.
Mit handschriftlicher Karte teilt uns der Verfasser mit, dass er uns auf Seite 67, Fn 161 zitiert und fügt hinzu
"weil Sie mir in Ihrem NZZ-Beitrag eine Freude bereitet hatten ...."
Geschätzter Herr Professor, es freut den Publizisten, wenn er einem Professor eine Freude bereiten durfte. Den Lesern der "Willensnation" sei hier noch der zitierte Artikel mitgeteilt. Wer das Büchlein gleich bestellen will, macht dies hier.

Sonntag, 3. Oktober 2010

Das erste Helvetisches Bekenntnis (1536)

(Confessio Helvetica prior 1536)


Die helvetische Confession stammt von Heinrich Bullinger (1504-1575), dem Nachfolger Ulrich Zwinglis in Zürich. Anscheinend hat er sie verfaßt, um sich selbst über die neue Glaubenslehre, zu der er sich bekannte, klarzuwerden. Sie gelangte an die Öffentlichkeit, als Kurfürst Friedrich III. Bullinger bat, für ihn eine Darstellung des reformierten Glaubens auszuarbeiten. Bullinger sandte ihm daraufhin das Dokument, das er für seine eigenen Zwecke verfaßt hatte, und der Kurfürst ließ es veröffentlichen. Seither hat es in den reformierten Kirchen weite Verwendung gefunden. (Quelle) Der Text ist fehlerhaft hier die gute Information.



Wir glauben und bekennen, daß die biblischen Schriften der heiligen Propheten und Apostel beider Testamente das wahre und ächte Wort Gottes sind, und daß sie in sich selbst hinreichende Beweiskraft und Ansehen haben, und der Bewährung von Menschen nicht bedürfen. Denn Gott selbst hat mit den Vätern, Propheten und Aposteln geredet und redet noch immer zu uns durch die heiligen Schriften.


Wir glauben, daß man in diesen Schriften die wahre Weisheit und Frömmigkeit suchen müsse, daneben auch die Verbesserung und Leitung der Kirche und den Prüfstein zur Annahme oder Verwerfung einer Lehre. Denn obschon niemand zu Christo kommt, er werde denn innerlich vom heiligen Geiste erleuchtet; so wissen wir, daß Gott dennoch sein Wort auch äußerlich gepredigt haben will.


Diejenige Auslegung der heiligen Schrift halten wir aber für die wahre und natürliche, welche aus der heiligen Schrift selbst hergenommen ist, aus der Art und Eigenschaft der Sprache, in welcher sie geschrieben ist, wobei man alle Umstände ermißt, und andere ähnliche oder unähnliche, doch vorzüglich deutlichere Stellen mit den dunklem vergleicht.


Daher verschmähen wir nicht die Schriftauslegung der alten Väter in der griechischen und lateinischen Kirche, insofern sie mit der Schrift übereinstimmen. Dann da, wo ihre Schriften der heiligen Schrift widersprechen, treten wir bescheiden von ihnen ab. Darum lassen wir uns in Glaubenssachen von keinem anderen Richter leiten, als Gott selbst, welcher in seinem Worte deutlich genug ausgesagt, was wahr oder falsch sei, was wir anzunehmen haben oder nicht. Wir lehren, es solle Gott allein angebetet werden ”im Geist und in der Wahrheit; und zwar einzig durch den einzigen Mittler, unsern Herrn Jesum Christum.


Anfänglich war der Mensch von Gott nach dem Bilde Gottes geschaffen, in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit, gut und recht; aber durch Anstiftung der Schlange und durch eigene Schuld von seinem Zustande der Güte und der Rechtschaffenheit einmal abgewichen, fiel er der Sünde, dem Tod und mancherlei Jammer und Mühseligkeiten anheim. Wir verstehen durch die Sünde das dem Menschen angeborene Verderben oder Verschlimmerung, von unsern ersten Eltern auf uns alle fortgepflanzt oder vererbt, wodurch wir, in arge Lüste versunken, dem Guten zuwider, zu allem Bösen geneigt sind und aus uns selbst nicht Gutes zu tun, ja auch nicht zu denken vermögen; und wodurch wir, mit den Jahren, durch arge Gedanken, Worte und Taten, ganz wider das Gesetz Gottes, als schlechte Bäume schlechte Früchte bringen. Damit aber hätten wir billig verdient, von Gott gestraft, ja verworfen zu werden.


Wir lehren davon also, daß die Beschaffenheit oder der Zustand des Menschen in dreifacher Hinsicht zu betrachten sei


Erstlich, wie der Mensch vor dem Fall gewesen, freilich recht und frei, so zwar, daß er im Guten verharren, aber auch zum Bösen sich neigen könnte.


Hernach ist zu betrachten, was der Mensch nach dem Fall geworden ist. Ihm ist keineswegs der Verstand gänzlich entzogen, noch ist er seines Willens beraubt, als wäre er zu Stock und Stein geworden; aber solche Gaben wurden doch so verändert und entkräftet, daß er nun nichts mehr vermag, was er Anfangs und vor seinem Fall vermochte; denn der Verstand ist verfinstert, der Wille aus einem freien ein dienstbarer geworden. Denn er dient der Sünde nicht wider Willen oder gezwungen, sondern mit Willen.


Was die irdischen und äußeren Dinge betrifft, so hat hier selbst der gefallene Mensch nicht geringe Freiheit nach der Barmherzigkeit Gottes.


Endlich müssen wir sehen, ob und wie fern der wiedergeborene Mensch eines freien Willen sei. In den Wiedergeborenen wird der Verstand durch den heiligen Geist erleuchtet, damit er die Geheimnisse und den Willen Gottes verstehe. Und der Wille wird durch den Geist nicht nur verändert, sondern auch mit der Fähigkeit ausgerüstet, das Gute von selbst zu wollen und zu tun.


Gott hat sich von Ewigkeiten, ohne Ansehen der Menschen, frei und aus lauter Gnade diejenigen Auserwählten, die er selig machen will, in Christo ausersehen und erwählt.


Darum hat uns Gott erwählt in Christi und um Christi willen, als diejenigen, die die Auserwählten Gottes sind, welche durch den Glauben Christo eingepflanzt sind; die Verworfenen aber sind die, welche sich außerhalb Christi befinden.


Und wiewohl Gott weiß, wer die Seinigen sind, und in der Schrift gesagt wird, daß der Auserwählten wenige sind, ist doch von jedermann Gutes zu hoffen, es ist auch niemand unbesonnen unter die Verworfenen zu zählen.


Wir glauben und lehren, daß der Sohn Gottes, unser Herr Jesus Christus von Ewigkeit her vom Vater zum Heiland der Welt vorausersehen und bestimmt worden sei, und vor aller Ewigkeit, und zwar vom Vater auf eine unbeschreibliche Weise. Darum ist der Sohn nach der Gottheit dem Vater gleich und gleichen Wesens, wahrer Gott, und nicht daß er nur den göttlicher Namen habe oder trage; oder daß er an Sohnes Statt angenommen oder also begnadiget oder erhoben worden sei; sondern dem Wesen und der Natur nach ist er wahrer Gott.


Wir glauben auch und lehren, daß des ewigen Gottes ewiger Sohn der Menschensohn geworden sei aus dem Samen Abrahams und Davids, und daß er nicht aus einem Manne wie Ebion vorgibt, sondern rein aus dem heiligen Geiste empfangen, und geboren sei aus Maria der Jungfrau, welche eine reine heilige Jungfrau geblieben sei, wie dies alles mit Fleiß das Evangelium beschreibt. Die menschliche Natur Christi war nicht eine Scheinnatur, noch vom Himmel herabgebracht, wie Valentin und Marcion träumten. überdies hatte unser Herr Jesus Christus nicht eine Seele ohne menschliche Empfindung und Vernunft, noch einen Leib ohne Seele, wie Eunomius lehrte, sondern die Seele hatte ihre Vernunft, und das Fleisch hatte seine Sinne und Empfindung, durch welche Sinne er wahre Schmerzen zur Zeit seines Leidens empfand. Darum bekennen wir im einen und eben demselben, unserm Herrn Jesu Christi, zwei verschiedene Naturen, die göttliche und die menschliche und sagen, diese seien also mit einander vereiniget, daß sie weder aufgehoben noch in eine vermengt, oder vermischt worden seien, sondern daß beide Naturen, in ihren Eigenschaften unverändert und unversehrt bleibend, in einer einzigen Person vereint oder verbunden seien.


Wir glauben ferner, daß dieser unser Herr Christus in ebendemselben Fleisch aufgefahren sei über alle sichtbaren Himmel in den obersten Himmel, der die Wohnung Gottes des Vaters, welches, obschon es eine gleiche Gemeinschaft an der Herrlichkeit und Majestät anzeigt, doch auch von einem gewissen Orte verstanden wird.


Im eigentlichen Sinne ist das Evangelium diejenige fröhliche und selige Nachricht von der Erlösung durch Christus, durch den wir Versöhnung, Vergebung der Sünden und das ewige Leben haben. Darum nennt man Evangelium mit Recht auch die Geschichte, welche von den vier Evangelisten beschrieben ist.


Durch die Buße verstehen wir die Verbesserung des Gemüts im sündigen Menschen, welche durch die Predigt des Evangeliums durch den heiligen Geist erweckt und durch den Glauben angenommen wird, da dann von Stund an der sündige Mensch sein angeborenes Verderben und jede Sünde, unter Anklage des Wortes Gottes, erkennt, im Herzen bereut, dieselben nicht nur vor Gott beweint und bekennt und sich derselben schämt, sondern auch mit Unwillen verflucht und der Besserung stets nachstrebt, und von nun an sich der Unschuld und aller Tugend befleißigt. Dies ist also die rechte Buße. nämlich die aufrichtige Umkehr zu Gott und zu allem Guten, und das Wegwenden vom Teufel und von allem Bösen. Wir sagen aber ausdrücklich, daß diese Buße eine lautere Gabe und Gnade Gottes sei und nicht das Werk unserer Kräfte. Wir lehren, daß aus dem wahren lebendigen Glauben, durch den heiligen Geist, wahrhaft gute Werke erwachsen, welche von den Gläubigen nach dem Willen Gottes und nach der Richtschnur seines Wortes getan werden.


Diese soll man tun, nicht daß man dadurch das ewige Leben erlange. Denn das ewige Leben ist eine Gnade und ein Geschenk. Auch nicht um des Ansehens und Ruhms willen, was der Herr strenge verwirft, sondern zur Verherrlichung Gottes, zur Ehre unsres Berufes, aus Dankbarkeit gegen Gott, und dem Nächsten zum Heil. Wiewohl wir lehren, daß der Mensch durch den Glauben an Christum, und nicht durch irgend ein gutes Werk fromm und gerecht werde, so verachten wir doch die guten Werke nicht als wertlos, indem wir wissen, daß der Mensch keineswegs zum Nichtstun weder erschaffen noch durch den Glauben wiedergeboren ist, sondern vielmehr um ohne Aufhören Gutes und Heilsames zu wirken.


Weil Gott von Anfang an uns selig haben wollte, und daß wir zur Erkenntnis der Wahrheit kämen, so war notwendig jederzeit, und ist noch gegenwärtig, und wird auch bis ans Ende der Welt bleiben, eine Kirche, das ist, eine Anzahl von Gläubigen ausgewählt und berufen aus der Welt. Sie ist die Gesamtheit der Gläubigen oder Heiligen, nämlich derjenigen, welche den wahren Gott in Christo dem Heiland durch das Wort und durch den heiligen Geist wahrhaft erkennen und würdig anbeten, und alle ihnen von Christi angebotenen Wohltaten und Güter durch den Glauben annehmen. Diese Alle sind Bürger einer Stadt und Gottes Hausgenossen. Hierher gehört, was wir im Artikel unseres Glaubensbekenntnisses aussprechen: ich glaube an eine heilige allgemeine Kirche, eine Gemeine der Heiligen. Die Kirche teilt man in verschiedene Abteilungen der Gattungen, nicht als wäre sie wirklich unter sich zerteilt oder zerrissen, sondern wegen der Verschiedenheit ihrer Glieder. Die streitende befindet sich noch hienieden auf Erden und hat mit dem Fleische, mit der Welt und mit dem Teufel zu kämpfen. Die triumphierende frohlockt dem Herrn im Himmel. Nichts desto weniger stehen beide unter sich in Gemeinschaft und Verbindung. Die streitende Kirche hienieden hatte zu jeder Zeit viele besondere Kirchen. Diese hatte eine andere Einrichtung vor dem Gesetz zur Zeit der Patriarchen, eine andere unter Moses während dem Gesetz und eine andere seit Christo unter dem Evangelium. Doch alle haben das nämliche Heil unter dem einzigen Messias, in welchem sie alle als Glieder Eines Leibes unter ein Haupt vereint, eines Glaubens und einerlei Speise und Trankes teilhaftig sind. Ein Unterschied ist darin, daß uns ein helleres Licht scheint und eine größere Freiheit gegeben ist.


Denn wir lehren, Christus sei der Herr und bleibe der einzige gemeinschaftliche oberste Hirte bis ans Ende der Welt. Daher bedarf er keines Statthalters, denn nur wo der Herr abwesend ist, ist ein Statthalter nötig. Die wahre Einheit der Kirche beruht aber nicht in äußern Zeremonien und Gebräuchen, sondern vielmehr in der Wahrheit und Einheit des allgemeinen Glaubens; derselbe nun stützt sich auf die göttliche Schrift, davon das apostolische Glaubensbekenntnis ein kurzer Inbegriff ist. Daher lesen wir, daß bei den Alten eine große Verschiedenheit in den Gebräuchen war, auch dachte niemand, daß die Einigkeit der Kirche deshalb verletzt sein sollt.


Die Diener an der Gemeine des Neuen Testamentes heißen Apostel, Propheten, Evangelisten, Wächter, Aufseher oder Bischöfe, Priester, Hirten und Lehrer. Uns aber genügen die Einrichtungen der Apostel für die Lehre und Leitung der Kirche.


Es ist aber den Dienern allen die nämliche Gewalt erteilt. Denn wenigstens im Anfang besorgten die Bischöfe oder Ältesten die Gemeinen gemeinschaftlich, eingedenk der Worte des Herrn: ”Wer unter euch der erste sein will, der sei euer Diener.”


Die Hauptverrichtungen der Diener sind die Lehre oder Predigt des Evangeliums, und die gehörige Verwaltung der heiligen Sakramente, die Sorge für das Seelenheil und die Aufrechterhaltung der Ordnung. Damit aber die Diener alles dieses besser und leichter zu tun vermögen, so müssen sie vor allem aus Gott fürchten, im Gebete verharren, immerfort die heilige Schrift lesen, überall und allezeit wachen, und mit einem frommen und heiligen Wandel jedermann vorleuchten. Und weil in der Kirche Zucht und Strafe sein muß, so sollten sich die Diener dieser Kirchenzucht bedienen und immer die Vorschrift des heiligen Apostels erwägen, ”daß alles ohne Herrschsucht und Entzweiung ehrbar, anständig und zur Erbauung geschehe und nicht zur Zerstörung”.


Die Sakramente des alten Volkes waren die Beschneidung und das Osterlamm. Die Sakramente des neuen Volkes sind die Taufe und das Abendmahl des Herrn.


Alle Obrigkeit ist von Gott selbst zur Ruhe und zum Frieden des menschlichen Geschlechtes geordnet. Ist sie der Kirche feind, so kann sie unsäglich viel hindern und stören; ist sie aber ein Freund, dann kann sie ihr sehr viel nützen und helfen.


Ihre Hauptpflicht ist, öffentliche Ruhe und Friede zu erhalten, die Wahrheit und den Glauben zu fördern; mit guten, dem Worte Gottes entsprechenden Gesetzen das ihr von Gott anvertraute Volk regieren; Übeltäter, Aufrührer, Räuber, Mörder und Lästerer strafen und in Schranken halten die unverbesserlichen Ketzer, wenn sie wirklich Ketzer sind.


Allen Untertanen ist geboten, die Obrigkeit als Gottes Dienerin zu ehren und allen ihren gerechten und billigen Befehlen zu gehorchen, und selbst Blut und Leben hinzugeben für das allgemeine Wohl. Wir verwerfen daher alle Verächter der Obrigkeit, die Rebellen, und Feinde des Staats und endlich alle die, welche offenbar oder listig sich den schuldigen Pflichten entziehen.


Aus: http://www.theology.de/ (2006)