Sonntag, 27. Februar 2011

Die promovierte Guttenbergiade

Karl-Theodor von und zu Guttenberg: Plagiator oder "Germany's next chancelor"?



Giorgio Girardet

Vor zwei Wochen titelten deutsche Blätter nach der Ablehnung der Waffen-Initiative: «Die Schweizer haben den Mythos gewählt». Seit bekannt wurde, dass Karl-Theodor von und zu Guttenbergs Dissertation zu grossen Teilen ein Plagiat ist, wählt auch Deutschland einen Mythos, nur: Ist es Hermann, der Held der Hermannsschlacht, oder Dr. Luther, der Held des Gewissens?
Noch ist nicht klar, welchen tragischen Mythos die Guttenberg-Affäre nehmen wird. Ist Freiherr Karl-Theodor von und zu Guttenberg, der für Afghanistan das ehrliche und knackige Wort «Krieg» entdeckte, derart als «cooler Baron» immunisiert, dass bei ihm wissenschaftliches Schummeln und Plagiieren und – die Indizien verdichten sich – gar eine falsche eidesstattliche Erklärung vor der Universität Bayreuth einfach am Teflon seiner reckenhaften Unverzichtbarkeit abprallen?
Dies die Gretchenfrage, die Kanzlerin und Volk ganz anders entschieden haben als die ernst zu nehmende veröffentlichte Meinung der gutenbergschen «Holzmedien». Denn ein deutscher Doktor ist seit «Dr. Luther» und «Dr. Faust» bis zu «Dr. Goebbels» ein Faszinosum und Tremendum. Guttenberg drohe «Schaden am Kosmos der bürgerlichen Werte» anzurichten, meinte deshalb die FAZ. Die wissenschaftliche Redlichkeit ist die tödliche Achillesferse des republikanischen Bildungsbürgers.
Aber ein von und zu Guttenberg ist «von Familie» und kein Bildungsbürger: «Scheiss auf den Doktor», riet darum die «Bild». Der Ehrbegriff einer republikanischen Leistungsgesellschaft liegt im Widerstreit mit dem Ehrbegriff des deutschen Kriegerstandes: Denn die Bundeswehr fühlt sich vom feschen Freiherrn, der eine Ururenkelin Bismarcks geehelicht hat, besser vertreten als seinerzeit vom angejahrten Juso Scharping, der mit einem Techtelmechtel mit einer angeheirateten Gräfin in die Klatschpresse kam.
Adelsprestige. Ein ähnliche, «dezisionistische» Frage stellte sich in Deutschland schon 1862, als Premierminister Otto von Bismarck dem König freie Hand für die Militarisierung Preussens und damit für die «Realpolitik» der Einigungskriege gab. Der deutsche Militarismus brach sich Bahn, die Folgen, vom drolligen «Hauptmann von Köpenick» bis zum Abgrund des Holocaust, sind bekannt. Deutschland, das sich noch vor zwei Jahren als 60-jährige Republik mit einer «gefestigten Demokratie» feierte, sieht sich mit historischen Kontinuitäten konfrontiert, die schemenhaft hinter dem Milchglas des provisorischen Grundgesetzes von 1949 hervorfeixen und auf Phänomene der «longue durée» (Mythen) verweisen. Um Sympathieträger Guttenberg schliesst sich die Wagenburg der Koalition, wie auch das «Klickvieh» der Meinungsumfragen im Cyberspace ihm zu Ehren auf die Tasten schlägt («Was braucht Guttenberg einen Doktor: Er hat einen 1200-jährigen Titel»). In der politischen Talkshow «Hart, aber fair» meinen seine Fürsprecher, dass er als reuiger Plagiator «in den Kreis» von Dr. Helmut Kohl, Gerhard Schröder und «Kohls Mädchen» auch ohne den Doktor aufgenommen werden könnte.


"Frei ist der Bursch": Kaiser Wilhelm auf Kneipe, Nebelspalter 1891.
«Weisser Kreis». Im Bild des «Kreises» scheinen König Artus und die Ritter der Tafelrunde auf, aber auch jener «weisse Kreis», der es als innerster Zirkel des wilheminischen, schlagenden deutschen Verbindungswesens Prinzen aus regierenden Häusern ohne Schmisse und ohne lästigen Kollegien- und Seminarbesuch erlaubte, die zukünftigen bürgerlichen «wissenschaftlichen Mitarbeiter» und Beamten beim Bier kennen und führen zu lernen. Und dieser «weisse Kreis» – so sangen die wilhelminischen Studenten im Biersuff – «ist wie die Unschuld, blendend weiss».
Jener «weisse Kreis» der Corpsstudenten ging 1919 mit dem Kaiser unter, doch bestand bis 1961 in Deutschland ein «weisser Kreis» der schlagenden Burschenschaften mit den folgenden Zielen: «Konservative Grundhaltung gegenüber Bestrebungen zur Änderung oder Aufgabe der alten Überlieferungen» und «Eintreten für den völkischen Vaterlandsbegriff» (Wikipedia). Angeblich sind Bestrebungen im Gange, diesen «weissen Kreis» wieder ins Leben zu rufen.
Kohls Mädchen, das dekretierte: «Multikulti ist gescheitert», ist zur Meisterin der Realpolitik geworden. Im Superwahljahr, inmitten einer überhandnehmenden Politikverdrossenheit, zwischen den Herausforderungen der Euro- und Europa-, aber auch Natopolitik, erscheint ein imagemässig lädierter Sympathieträger von und zu Guttenberg für die Machtpolitikerin Merkel ideal: ein strahlender Kanzleranwärter mit disziplinarischer Beförderungssperre.
Heeresverfassung. Wenn der «Dr. zu Guttenberg» der Wissensgesellschaft uns als Farce den «Hauptmann von Köpenick» des preussischen Militarismus spiegelt, so müssten bei Guttenbergs Grossprojekt, der Abschaffung der «Allgemeinen Wehrpflicht», die Alarmglocken läuten. Im gleichen Jahr 1862, als Bismarck die Lückentheorie entdeckte, riet der jüdische Sozialist Ferdinand Lasalle Berliner Bürgern, darauf zu dringen, dass die Waffen den Bürgern übergeben würden.
Die Eidgenossenschaft verwirklichte diesen schon in den protestantischen Stadtrepubliken des Ancien Régime bewährten Grundsatz in der Verfassung von 1874 und bestätigte ihn soeben an der Urne. Deutschland steht in der Causa Guttenberg an einem tragischen Scheideweg. Die am Hindukusch kämpfenden Nationen hätten lieber die Waffen-SS an ihrer Seite, als dass sie den Zimperlingen der deutschen Wehrpflichtarmee immer wieder aus der Bredouille hülfen. Die endlosen deutschen Diskussionen um eine «Elite» und eine «Leitkultur» könnten im Deutschland der «eisernen Kanzlerin» in eine Refeudalisierung der Gesellschaft mit einem faustischen Kriegerkodex münden.
Dr. rer. pol Sarrazin als Buchautor: «wenig hilfreich», aber der adlige Plagiator Guttenberg als Kriegsminister: «unverzichtbar». Es könnte das Ende der bürgerlichen Leitkultur in Deutschland und damit auch in Europa bedeuten.
Erschien zuerst in der "Basler Zeitung" vom 26. Februar 2011. Wer in Zukunft solche Texte druckfrisch lesen will: hier abonnieren!

Donnerstag, 3. Februar 2011

Schweizer Heereskunde (II) 1668 - 1848

Ausschnitt aus "Schweizer Heereskunde" von Karl Egli, Oberst im Generalstab: Mit einer geschichtlichen Einleitung von Oberst M. Feldmann. Zürich, zweite Auflage, Schlulthess & Co. 1916. S. 18 -

[p. 18]
{Defensionale 1668}
Am 18. Mörz 1668 wurde in Baden das Eidgenössische Defensionale beschlossen

"zue unsers allgemeinen Standes und VaterLandes nothwendiger beschirmung
und erhaltung der von unsern Lieben altfordern so theür Erworbenen herrlichen
Freyheiten."


Diese Wehrverfassung war ein bedeutender Fortschritt und konnte - im vaterländischen Sinne weitergeführt - die Grundlage zu einer für das ganze Volksleben segensreichen Weiterentwicklung des Wehrwesens werden.
Die Einteilung der Streitkräfte in 3 "Auszüge" (GG: die späteren "Heeresklassen"?: Auszug, Landwehr, Landsturm) wurde beibehalten. Der 1. Auszug follte aus 13'400 Mann Infanterie, 400 Reitern und 18 Geschützen bestehen. Für den 2. und 3. Auszug war den Orten noch 2 mal soviel Mannschaft vorgeschrieben, so dass eine Armee von rund 40'000 Mann Infanterie,
1200 Reitern und 48 Geschützen aufgestellt werden konnte.
Der 1. und 2. Auszug wurden in zwei "Armeen" geteilt, an deren Spitze je sechs Stabsoffiziere
der verschiedenen Orte standen, und zwar

"ain Oberster feldthauptmann, ain Obrister feldtwachtmeister ain [p. 19] Obrist über die Artillerie, ain Quartiermeister, ain Provos, ein Wagenmeister."

Je eine "qualificierte Standesperson" und ein hoher Offizier jedes Ortes bildeten einen Kriegsrat, dem grosse Kompetenzen eingeräumt waren. Die Herren vertraten im Felde die Obrigkeiten, sie sollten

"getreüwlich und üffrichtig Beratschlagen, helffen, was Sie bei Ehr,
Eiden und gewüssen dem gemeinen lieben vatterland vortheilig fürstendig und
erspriesslich erachten mögen"

Der Kriegsrat konnte nach Bedarf Truppen aufbieten, Frieden schliessen, verfügte über die materiellen Hilfsmittel des Landes und hatte die Aufgabe, den

"feindt Zuesuchen, an Zegreiffen, Zeschlagen, nachzeJagen auch in
seinem eigenen Landt zue Verfolgen"

Als Verpflegung sollte jeder Soldat täglich, 1 1/2 Pfd. "Commisbrod" und als Besoldung wöchentlich 1/2 Louis erhalten auf Kosten der Orte.

Die Armee sollte jederzeit mit "Wehr und Waffen, Kraut und Loth" kriegsbereit sein. Die Orte hatten für genügende Verpflegungsvorräte - besonders an der Grenze - zu sorgen.

In Art. 10 wird die Grenzbewachung geregelt. Die Grenzorte sollen "Bei anscheinender gefahr", also rechtzeitig und eventuell vor Kriegsausbruch "vorderist alle Päsz der notrufft nach Besetzen und Bewahren". "Sändungen bei den annähernden völkern", d.h. Patrouillen über die Grenze dem feindlichen Heere entgegen, sollten dessen "Intention so vill möglich erfahren" und sofort an die "KriegsRäth" melden.


Hochwacht von Erlach (Kt. Bern) mit Blick auf die Petersinsel

{Chutzen}

Eine grosze Zahl optischer Signalstationen, die sog. Hochwachten oder Chutzen ermöglichten die Weiterleitung solcher Meldungen und erleichterten eine rasche Alarmierung der Mannschaften.

Diese Hochwachten wurden bei drohender Kriegsgefahr von einigen Mann bezogen. Zu der Einrichtung gehörte in der Regel ein Wachhäuschen mit den nötigen Instrumenten zur Orientierung, wie Quadrant oder [p. 20] "Absichtsdünchel" usw., ferner Holz oder eine Harzpfanne, später eine Anzahl Musketen und Mörser.

Bern hatte 156, Freiburg 33, Thurgau 56 Hochwachten. Zürich war mit dem Rheintal, Bünden, Glarus und Basel verbunden. Bei günstiger Witterung konnten in einer Viertelstunde sämtliche Hochwachten des Kantons Zürich benachrichtigt werden.


Obersee-Gebiet mit Rapperswil und Wurmsbach auf der Gyger-Karte von 1676

{Militärkarte}
Auch in anderer Weise suchte Zürich seine Kriegsbereitschaft zu vervollkommnen. 1619 erteilte der Rat einigen Ingenieuren den Befehl eine Militärkarte des Kantons und der angrenzenden Gebiete herzustellen. Die Herren hatten nicht nur die "orther und päsz uffzerysen, die Landtstraszen, steg, wäg, flüsz, fahr, möszer, sümpf, büchel, hinderzüg ze verzeichnen", sondern sollten auch £Angaben machen, "das Land ze bevestenen und gegen den fynt wehrhaft ze machen mit Batterien, Wällen, Schanzen, verborgenen Wachten etc." Bereits 1620 lag eine Karte der Nordostschweiz vor, die nach dem Namen ihres Autors, des bekannten Topographen Gayger, die "Gygersche" genannt wird.

{Kriegskasse}

Von den späteren Ergänzungen zum Defensionale - bis 1674 - ist die Errichtung der Kriegskasse zu erwähnen. Jeder Ort sollte für zwei Auszüger 1 Thaler einbezahlen; die Verwaltung der Kasse war streng geregelt. Als Hauptzweck der Armee wurde der Schutz der Neutralität bezeichnet.*

1672-74 versammelten sich die Kriegsräte oft und arbeiteten mit Fleisz an der Weiterentwicklung des Wehrwesens; aber leider wurde diese durch die Oppo=[p.21]sition einzelener Orte verunmöglicht, indem eine höchst unpatriotische Hetze gegen das Defensionale einsetzte.

Trotzdem hat diese Wehrverfassung dem Lande gute Dienste geleistet. Öfters verhinderte schon ihre Existenz Durchmärsche feindlicher Truppen. In der Regel genügten die Aufforderung an die kriegführenden Parteien, die Neutralität zu respektieren, und die Bereitstellung des 1. Auszuges. Das war im Fall im Julit 1673, im Oktober 1676, im Juli 1677. 1678 kamen die Defensionaltruppen zu spät, aber die Grenzverletzung bei Riehen war sehr gering. Weitere Versuche, z.B. der beabsichtigte Rheinübergang bei Rheinfelden, wurden aber durch die 2'650 Mann Grenztruppen verhindert. Schanzen an der Birs, bei Augst, an der Hülfftenbrücke sollten diesen Grenzschutz erleichtern. 1689 standen vom Juni bis September 2520 Mann bei Basel. Als Kuriosum mag erwähnt werden, dasz in diesem Falle beide Kriegführenden, der Kaiser und der französische König, die Kosten der eidgenössischen Grenzbewachung zum grossen Teil trugen: jeder mann erhielt monatlich fünf Louistaler. Erst im März 1691 kehrten die Grenztruppen nach Hause zurück.

Im eidg. "Schirmwerk" vom 7. September 1702 wurde das Defensionale bestätigt.

{18. Jahrhundert}

(Fortsetzung folgt)