Mittwoch, 3. August 2011

IN LABORE VIRTUS ET VITA

Ansprache von Dr. P.Scheuermeier bei Anlass der Eröffnung der Ausstellung Ulrico Hoepli: 80 Jahre Verlagstätigkeit in Italien. Landesbibibiothek Bern, 25. Oktober 1952

Ulrico Hoepli, Verleger&Buchhändler (1847 - 1935)

Diesen Wahlspruch haben Sie vielleicht gelesen auf der gegenüberliegenden Fassade des städt. Gymnasiums. Es ist wohl interessant und gestattet, hier zu sagen, wie diese Worte dort hinauf gekommen sind. Als im Frühling 1926 der Neubau des Gymnasiums fertig dastand, trat eines Tages der damalige Oberrektor, der spätere Stadtpräsident und Nationalrat Dr. Bärtschi unter seine Kollegen und forderte sie auf, einen sinnvollen Spruch für das neue Haus vorzuschlagen.

Da legte ihm einer ein Buch aus dem Verlag Ulrico Hoepli vor mit dem Hinweis auf dessen Hauszeichen, ein grosses H, um das sich diese Devise schlingt. Nach kurzer Zeit prangte der Spruch in ehernen Lettern am neuen Haus.

Mailand hat das Planetarium seines Ehrenbürgers, die Universität Zürich besitzt die Marmorstatue einer Niobide ihres Doctors h.c., Stiftungen und Schenkungen Hoeplis sind in der Schweiz und Italien so zahlreich, dass ich sie hier weder aufzählen kann noch will. Das köstliche Erbe, das die Berner Jugend Ulrico Hoepli verdankt, ist dieser Wahlspruch seines Lebens, den Hoepli selber glänzend ins Italienische übersetzte:

„Il lavoro è di per se stesso gioia dello spirito e sanità del corpo“

Keiner war würdiger dieser Devise als Ulrico Hoepli ; denn er hat sie nicht nur auf dem Schild im Munde geführt, er hat sie gelebt. 65 Jahre ununterbrochener, zäher, zielbewusster und intelligenter Arbeit haben diesem Leben einen Glanz und einen Sinn gegeben, dessen wir mit Bewunderung und ehrend gedenken wollen, bevor wir die uns vorgelegten Früchte Hoeplischer Arbeit betrachten.

Wer von den andern viel verlangt, muss selber mit dem guten Beispiel vorangehen. So sahen wir Hoepli unentwegt, wie einen Kapitän auf der Kommandobrücke, immer inmitten seiner Leute im grossen alten Geschäft in der Galleria de Cristoferis stehen. Selber am Morgen der erste, am Abend der letzte. Es konnte vorkommen, dass ein Schweizer ihn besuchen wollte zu einer Zeit, von der man in Italien sagt „am frühen Morgen“, wenn im Corso Vittorio Emmanuele die Läden noch geschlossen waren und in den Cafés die Stühle noch auf den Tischen standen. Unter der offenen Türe der Libreria Hoepli in der Galleria de Christoferis machte sich eine Putzfrau zu schaffen:

« Che cosa vuole? Non c’è nessuno. – Non c’è il signor Hoepli? – Ah, lui è lì che lavora. »

Und immer stehend, bis ins hohe Alter. Im Geschäfte Hoepli gab es nur Stehpulte. Des ronds de cuir konnten in diesem Klima, wo gelegentlich etwas rauhe Schweizerluft wehte, nicht gedeihen. In seiner scherzenden Art sagte Hoepli einst vor vielen Jahren zu einem anderen Italienschweizer; „wenn ich dann einmal alt bin und dem Geschäft nicht mehr vorstehen kann, dann lass ich mir in einem Winkel ein Pult einrichten, wo ich für 2-300 Lire noch etwas schaffen kann“. Diese Zeit ist nie gekommen. Mit einer bewunderungswürdigen geistigen Frische und einer eisernen Energie hat Hoepli bis zum Schluss die Zügel des Regiments in den Händen gehalten. Das Bild, dass sie in der Ausstellung von ihm sehen, sit vom 88jährigen 2 Tage vor seinem Tod gemacht worden. Es war eine Gnade des Schicksals, dass der Unermüdliche, der ein langes Leben lang gekämpft hat gegen die Materie, gegen die Menschen und gegen sich selber und die eigenen Schwächen, vom Tode ohne Schmerzen und Krankenlager fast mitten aus voller Tätigkeit abberufen wurde. Das geschah am 24. Januar 1935.

Lassen Sie uns einen Augenblick zurückschauen auf dieses Leben, aus dessen Seiten es uns entgegenrauscht wie Geschichten aus einer heroischen Zeit aus dem Goldenen Buche „Schweizer aus eigener Kraft“!

Ulrico Hoepli wurde am 18. Februar 1847 in Tuttwil im Kanton Thurgau als Sohn wohlhabender Bauern geboren. Mehr als die ländlichen Arbeiten seiner Eltern und Geschwistern zogen den intelligenten Jungen die Bücher an. Sie waren bald seine Leidenschaft. Mit glänzenden Noten verlässt er die Sekundarschule Eschlikon und tritt 1862 15-jährig in Zürich in die Lehre bei einem alten deutschen Buchhändler Schabelitz. Dieser führt, nicht immer sanft, den Lehrbuben der auch den Laufburschen machen muss, in den Beruf ein. Nach abgeschlossener Lehre zieht es den jungen Buchhändler in die Welt hinaus. Dort draussen geschehen jetzt grosse Dinge. Mit 18 Jahren beginnt Hoepli seine klassischen Lehr- und Wanderjahre. Diese führten ihn von Mainz natürlich nach Leipzig, dann nach Breslau und schliesslich nach Triest, der Stadt seiner Träume. Dort strahlt vom blauen Himmel eine italienische Sonne, dort spricht man die Sprache Dantes und Garibaldis, dort spürt er bereits die Pulsschläge einer neu erwachenden Zeit, er hört die begeisterten Freiheitsrufe des italienischen Risorgimento, denen damals das Ohr eines jungen Schweizers sich nicht verschliessen konnte. Da verdichteten sich romantische Jugendträume zu einem festen, praktischen Lebensplan: im jungen Italien, für dessen Sprache, Geschichte und Kultur Hoepli schon lange voll Bewunderung ist, sieht der junge Buchhändler seine Zukunft. Mit der Entscheidung der Geschichte fallen die Würfel seines Lebens.

Zur Belohnung für seine Teilnahme am Kriege von 1866 gegen Österreich hat das jung gegründete Königreich Italien seine zweitletzte Provinz erhalten, Venezien. Es fehlt nur noch Rom. Da dringen am 20. September 1870 die Truppen des italienischen Königs durch die Bresche der Porta Pia und besetzen die heiligen Stadt: Roma capitale d’Italia. Endlich ist Italien geeinigt. Der Weg zum Aufstieg hat begonnen.

Jetzt ist die Zeit für den bald 24jährigen Thurgauer gekommen. Am 5. Dezember 1870 besteigt er die Postkutsche, um mitten im Winter über den Splügen zu fahren und endlich seinem Drang nach Süden nachzugeben. Am 7. Dezember, am Tage des Heiligen Ambrosius, des Patrons der Stadt Mailand, hält er Einzug in der Stadt, deren Ehrenbürger er 65 Jahre später werden sollte. Er zieht nicht ein als armer Reisender. Er hat nicht nur seinen Plan im Kopf und Herzen, er trägt auch ein schönes Sümmchen ersparter Napoleons auf sich; den gleich auf den 1. Januar 1871 kauft er sich die Buchhandlung des alten Sachsen Läengner, die 1840 von zwei Wienern gegründet worden war.

Der junge Schweizer hatte nichts Kleines im Sinne. Denn die neu erstandene Buchhandlung befand sich ausgerechnet am vornehmsten Ort des damaligen Mailand, in der eleganten Galleria de Cristoferis, die mit ihrem Glasdach, den prächtigen Schaufenstern und den fabelhaften Gaslampen die alten Mailänder in Staunen versetzte. Diese merkten bald, dass auch mit dem jungen Buchhhändler ein neues Licht aufgegangen war. – Das Buchdruckergewerbe und der Buchhandel, die im Anfang des 19. Jahrhunderts in Mailand florierten, hatten gegen Ende der österreichischen Herrschaft und während der Zeit des Krieges Schaden genommen. Nun brauchte das neue Italien neue Männer. Hoepli war zur rechten Zeit gekommen.

Gleich von Anfang an war Hoepli überzeugt, und ist es geblieben, dass Verlag und Buchhandlung zusammen gehörten. Die ersten fünf Jahre bringen zunächst tastende und kühne Versuche auf verschiedensten Gebieten. 1875 ist der Weg gefunden. Mit genialem Blick hat Hoepli die Situation erkannt und tut seinen grossen Meisterstreich: er gründet die „Manuali Hoepli“. Doppelter coup de génie; denn damit begründet Hoepli sein grosses Vermögen und wird zugleich zum geistigen Wohltäter Italiens. „Magister populi“ hätte ihn das Italien des ausgehenden 800 und des beginnenden 900 heissen können. Hoepli hatte erkannt, dass das aufstrebende, unternehmungslustige, aber nicht genügend vorbereitete Italien Vulgarisation des menschlichen Wissens nötig hatte. Der mittlere und kleine Mann musste mehr und Genaueres wissen. Der Handwerker, der Ingenieur, der Industrielle, der Bauer, brauchten leicht verständliche theoretische Grundlage ihrer praktischen Arbeit. Mit den Manuali fand Hoepli eine Lösung, mit der er Millionen von Menschen während mehr als 50 Jahren unschätzbare Dienste leistete. Es sind gebundene Bändchen im Taschenformat, ursprünglich von 150-200 Seiten, zum einstigen Grundpreis von 1 ½ Goldfranken, die in knapper und klarer Form in alle erdenklichen Gebiete des menschlichen Wissens einführen. –

Da kann man sich orientieren über Geheimnisse der Technik und Technologie, bis zur Television und der internationalen Aeronautik, aber auch über die Einstein’sche Relativitätstheorie, über Bankoperationen und Kirchenrecht, über Hühner- und Kaninchenzucht, über die Regeln des Kartenspiels und des Ehrenkodex des italienischen Adels. Während der Offizier in einem Manuale Hoepli Arabisch studiert, repetiert dort der Student seine griechische Literatur oder lernt darin Baskisch, Japanisch oder die Sprache der altägyptischen Inschriften. Der Stadtpolizist liest sein Vademecum del vigile urbano, und der Coiffeur sein Manuale del parruchiere.


Man kann sich denken, welchen Weitblick, welche Erfahrung, vor allem welchen Spürsinn es brauchte, um aus den unbegrenzten Möglichkeiten der Stoffe und der Titel derjenigen auszulesen, welche einem Bedürfnis entsprachen, d.h. Welche Absatz fanden. Schwieriger war die Wahl der rechten Autoren. Hier zeigte sich Hoeplis grosse Menschenkenntnis. Die Tüchtigen auslesen, den rechten Mann mit dem rechten Werk beauftragen, die Schwätzer schwatzen lassen und sie dann wieder abschütteln, das alles verstand Hoepli. Es war schwer, dem realistischen und scharfblickenden Thurgauer ein X für ein U vorzumachen. – Manchmal ist es wohl etwas streng und haushälterisch zugegangen, und es mag um Centesimi gestritten worden sein. Denn wo es sich ums Geschäft handelte, da vergass Hoepli das Geschäft nie.

Wenn aber Hoepli als Mäzen auftrat, dann tat er das mit wahrhafter Grosszügigkeit. Sie wissen, und wir wollen nicht aufzählen, was Hoepli für wohltätige Zwecke getan, wie er vor allem geholfen hat, um geistige Arbeit anzuregen und zu unterstützen. Wir haben persönlich erfahren dürfen, wie Hoepli durch eine hochherzige Schenkung als Erster ein grosses wissenschaftliches Schweizerwerk unterstützte und startbereit machte, das nur durch private Hilfe zustande kommen konnte.

Von diesen Prachtwerken können Sie einige in unserer Ausstellung bewundern; sie datieren von der ersten Schenkung 1937. Den noch im andern Jahrhundert erschienenen sog. Codex Atlanticus besitzen wir nicht; er ist bereits eine Seltenheit auf dem Internationalen Büchermarkt geworden. Es ist die wunderbare Reproduktion von 1381 Tafeln in Grossformat mit den berühmten Zeichnungen von Leonardo da Vinci, die sich in der Biblioteca Ambrosiana befinden. Von den 27 Bänden der illustrierten „Storia dell’arte italiana“ von Venturi (1901 – 39) sind einige ausgestellt. Ebenso einige Grosswerke, die der Geschichte Mailands gewidment sind wie die vier Bände von Malaguzzi-ValeriLa corte di Lodovico il Moro“ (1913 – 23), ferner von Bertarelli-Monti „Tre secoli di vita milanese“. Im Dante-Jahr 1921 veröffentlichte Hoepli Corrado Riccis dreibändige „Divina Commedia nei luoghi e nelle persone“. Dazu gesellte sich der in Faksimile herausgegebene prächtige Codice Trivulziano der „Divina Commedia“. – Eines der schönsten Prachtwerke, auf das Hoepli besonders stolz war, ist der „Codice Virgiliano“, das herrlich geschriebene und illustrierte Exemplar von Vergils Werken, das einst persönlich Petrarca gehörte und jetzt im Besitze der Ambrosiana ist. Bei Gelegenheit des 2000.Geburtstages des römischen Dichters hat Hoepli 1930 dieses Werk neu herausgegeben in Faksimile genau wie das Original in Grösse, Material, Schrift und Farben. Schauen Sie sich in der Ausstellung dieses Meisterwerk italienischer Buchdrucker- und Buchbinderkunst auch an!

Mit diesem Buch ist die Erinnerung an einen denkwürdigen Tag verbunden, dessen Geschichte Hoepli selber in seiner plastischen Art erzählt hat. Hoepli hatt sich in den Kopf gesetzt, an ein und demselben Tag die ersten drei Exemplare dieses Werkes persönlich König Viktor Emanuel III., dem Papst Pius XI. und dem Duce zu überreichen. Dass er es durchzusetzen wusste, wirklich am gleichen Tag zu der von ihm selber gewünschten Stunde von jedem dieser drei Grossen empfangen zu werden, ist ebenso ein Zeichen seiner Geschicklichkeit als auch seines Ansehens.

Es war am 14. Februar 1930, als Hoepli um zehn Uhr dem König, der wegen einer Unpässlichkeit den Gast im Schlafzimmer empfing, seine Gabe auf die Bettdecke legen durfte.

Genau um 12 ½ Uhr präsentierte er sich vor dem Heiligen Vater, der in Erinnerung an seine Mailänderzeit Hoepli scherzhaft vorwarf, warum er seinen alten Freund in Rom nicht früher besucht habe. Ebenso scherzhaft erwiderte der Protestant, er habe seinen Peterfpenning noch nicht beisammen gehabt, und, um das Versäumte nachzuholen, legte er den virgilianischen Codex ein wohlgefülltes Pli.

Als Hoepli sich um 17 Uhr beim Duce meldete, beschwor ihn der Sekretär, unter keinen Umständen mehr als eine Viertelstunde der kostbaren Zeit des so vielbeschäftigten Mannes in Anspruch zu nehmen. Im grossen Zimmer erhob sich der Diktator beim Eintritt des alten Schweizers und ging ihm mit ausgesuchter Höflichkeit entgegen. Noch einer halben Stunde angeregten Gespräches machte der Sekretär im Hintergrunde verzweifelte Gebärden; aber der maliziöse Besucher wollte nichts merken. Als er gefragt wurde, wie er es mache, um bei so hohem Alter noch so frisch zu sein, gab er dem fragenden „Uomo d’azione“ das Geheimnis seines Wahlspruches preis.

Wir messen diesem grossen Tag eines grossen Auslandschweizers eine symbolische Bedeutung bei. Er ist die Krönung eines persönliches Verhältnisses, das Hoepli mit jedem dieser drei Männer hatte. Der König kannte Hoepli schon als „libraio della Real Casa“ und als häufiger persönlichen Gast seines Vaters Umberto I. Später wurde Hoepli der Verleger der bedeutenden wissenschaftlichen Werke des Numismatikers Vittorio Emanuele. Mit Papst Pius XI. verbanden den Schweizer persönliche Beziehungen aus der Zeit, da Achille Ratti noch Bibliothekar an der Ambrosiana gewesen war, und da die beiden zusammen als Mitglieder des Mailänder Albenklubs in jugendlichem Tatendrang italienische Gipfel stürmten. Dass endlich der Schweizer der alleinige Herausgeber der Reden und Schriften des Duce wurde, ist ebenso erstaunlich wie vielsagend.

Man könnte meinen, das alles sei ein Beugen helvetischer Kniee vor Fürstenthronen gewesen. Im Gegenteil: Hoepli hat erreicht, dass die Höchsten im Lande nach eigenem Urteil den Wert und die Bedeutung seiner Arbeit und seiner Persönlichkeit erkannten und ehrend anerkannten, trotz der aller Verschiedenheit der persönlichen Überzeugung des demokratischen, protestantischen Deutschschweizers, die dieser nie vor niemandem verhehlte. 65 Jahre lang ist Hoepli durch kritischste Zeiten hindurch seinem Lande, seiner Sprache, seiner Kirche treu geblieben, ohne sich, trotz allem, um das italieniesche Bürgerrecht zu bewerben.

Vor Grossen und Kleinen blieb er immer, wer er war: der urchige Schweizer, gelegentlich etwas barsch und sachlich trocken, sicher mit den Füssen auf dem Boden der Wirklichkeit stehend, aber fähig, die höchsten Dinge zu verstehen und zielbewusst ihnen nachzustreben. Immer sich selber treu, selber seinen Weg bestimmend. Wo aber das Schicksal ihm Unabänderliches zugedacht hatte, hat er es mit Grösse getragen.

Noch einer Seite der Tätigkeit Hoeplis ist zu gedenken, des Antiquariates. Es besteht seit den ersten Anfängen und hat in den vergangenen 80 Jahren gegen 150 wertvolle Kataloge herausgegeben. Aus den bescheidenen Anfängen der ersten Jahrzehnte entwickelte sich das Antiquariat, seit Hoepli zu dessen Betreuung den Spezialisten Mario Armanni berief, und seit er dessen Leitung i die Hände seines Neffen Dr. Erhard Aeschlimann gelegt hat. Kühne Unternehmungen Hoeplis, wie der Ankauf der berühmten Biblioteca Cavalieri in Ferrara und der Libreria De Marinis in Florenz, die zu grossen Erfolgen wurden, verschafften dem Antiquariat Hoepli bereits Weltruf. 1929 erreichte der in einer Versteigerung der Dante von Mantua den höchsten Preis, der bis damals je für ein bezahlt worden ist. Bald genügten die Mailänder Versteigerungen nicht mehr. Es wurden solche in Rom, Paris und viele in der Schweiz organisiert. Das Antiquariat Hoepli, das glückerlicherweise durch den Krieg nicht geschädigt wurde, hat heute seinen vornehmen Sitz im Palazzo Trivulzio an der Via Manzoni und nimmt mit seinen wechselnden Schätzen einen der ersten Plätzen auf dem internationalen Markt ein. Die Konsultationsbibliothek Hoepli in Mailand ist heute einer der besten Nachschlagekataloge der Welt.

Kurz nach dem Tode Ulrico Hoeplis gab es eine wichtige, von aussen kommende Veränderungen für das Geschäft, das von den Erben des Kinderlosen weiterfeführt wird, von seinen Neffen Carlo Hoepli und dessen Söhnen Ulrico und Gianni und von Dr. Erhard Aeschlimann. Nach Beschluss der Stadtbehörden von Mailand wurde 1935 die alte Galleria de Cristoferis abgerissen. Das Geschäft Hoepli installierte sich in den prächtigen neuen Räumen in Via Berchet 1 an bester Lage unmittelbar neben der grossen Gallerie. Es folgen sieben Jahre ruhiger, fruchtbringender Arbeit.

Dann bricht der Krieg mit seinen furchtbaren Zerstörungen über das Geschäft herein. Das Haus Hoepli wird zu einem der am schwersten getroffenen Kriegsopfer in Mailand. Ein erstes Bombardement trifft im Oktober 1942 mit direkten Brandbomben die an der Stadtperipherie liegenden Magazine des Verlags und verwandelt den grössten Teil der Bücher und Papierlager, Archive, Originaldokumente, Clichés und anderes Unersetzliches in einen Trümmer- und Aschenhaufen. Die gewaltigen Bombardemente vom August 1943 vernichten was noch übrigeblieben war. Ein in der Gegend der Gallerie niedergegangener Volltreffer lässt das ganze Gebäude in Via Berchet über der schönsten Buchhandlung Italiens zusammenstürzen und überschüttet die ganze Nachbarschaft mit den verkohlten und zerfetzten Resten dessen, was einst die stolze Libreria Hoepli war. Zwei Schreckensnächte haben das Lebenswerk Ulrico Hoeplis scheinbar vernichtet. Von 3000 im Verlag erschienen Werken, die in mehreren Millionen von Bänden auf Lager waren, konnten noch ca. 60‘000 Bücher, die 82 Titeln entsprachen, aus den Trümmern zusammengelesen werden. Unersetzliche Geistesschätze sind für immer verschwunden. Die 27 Bände Venturi, das Corpus Nummorum Italicorum, die prächtigen Reproduktionen Leonardos, der Faksimile-Dante und –Vergil und unendlich vieles andere ist auf einen Schlag aus dem Buchhandel ausgeschaltet worden und gehört nun zu den gesuchten Schätzen der Antiquariate. Unsere Schweizer Bibliotheken sind glücklich, Hoeplischätze ihr Eigen zu nennen, welche die Hoepli heute selber nicht mehr besitzen.

Meine Damen, meine Herren, in diesem äussersten Unglück zeigte sich etwas Grosses: es zeigte sich, dass das beste Erbe Hoeplis nicht verloren gegangen war. Das Papier war verbrannt, aber der Geist des alten Ulrico Hoepli lebt weiter in seinen Nachfolgern. Diese wollen zwar nicht „faire u lyrisme journalistique à bon marché“ über ihr Unglück. Freuen wir uns darüber, dass sie dazu zu stolz und zu bescheiden sind, und machen wir selber nicht unnötige Worte! Die Werke reden deutlich genug. Schauen Sie selber die geschenkten 200 Bücher an, die hier vorliegen und die drei Büchergestelle der Landesbibliothek füllen. Sie sind nur ein Teil der 1200 Werke, die der Hoeplikatalog von 1952 aufzählt und die alle in den letzten sieben Jahren von 1945 – 52 vom Verlag neu herausgegeben wurden. Eine wahrhaft bewundernswürdige Leistung!

Im heutigen Mailand, wo täglich die Wunden des Krieges mehr sich schliessen, und wo in weitem Umkreis Neubauten aufschiessen wie Pilze, hier wird auch in der Casa Hoepli gearbeitet in einem Rhythmus und einer Qualität, die den Vergleich mit den besten Verlagen der Welt, Amerika eingeschlossen, aushält. In den neu aufgebauten Magazinen der Peripherie türmen sich bereits wieder Stösse von Büchern auf. Bald werden diese Räume zu klein sein wie auch das Verkaufslokal an der Via Matteotti 12. Bereits ist in günstigster Lage im Zentrum der Stadt ein Terrain gekauft, und wir zweifeln nicht, dass die Unternehmungslust und Geschäftstüchtigkeit der jungen Hoepli dort bald den geplanten Sitz der Buchhandlung und des Verlages erstellt haben wird.

Wir haben in Italien eine Bündnerfirma kennen gelernt, die seit 250 Jahren den Namen des einstigen Gründers trug. Dort handelte es sich um Kolonialwaren, die diese Engadiner den Italienern durch Jahrhunderte verkauften. Ulrico Hoepli verbreitet Früchte menschlichen Geistes. Möge dieser Namen mit dem gleichen Klange noch lange dauern zum Wohle der italienischen Kultur und zur Ehre schweizerischer Arbeit!

Jetzt, meine Damen und Herren, möchte ich Sie einladen, persönliche Einsicht zu nehmen von dem, was unsere Landesbibliothek von den einstigen und den heutigen Hoepli hochherzig geschenkt wurde.

Getreue Wiedergabe des Typoskripts aus dem Nachlass P. Scheuermeier.

Hoepli im Internet, Lage des Hauses heute, an der "Via Hoepli Ulrico"

Geschichte des Hauses 1946 - 1958

Geschichte des Hauses 1959 - 2010



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