Montag, 25. August 2008

Nebelspalterei ins Allzumenschliche

«Eine Fliege die nicht geklappt werden will,
setzt sich am besten auf die Klappe selbst.»

Georg Christoph Lichtenberg,
1742 – 1799, deutscher Aufklärer

Man will, man muss – und das natürlich auch frau, aber in diesem Kontext doch eher man, ­ und dieses vor allem in der Medienszene – up to date sein, in und sexy. Wie kann man sich als in der Schweiz als «Kerl von Geist und Witz» beweisen? Indem man sich über die «helvetische Humorpostille» das «biedere Schweizer Witzblatt», kurz: «die älteste Satire-Zeitschrift der Welt», den 133jährigen ‹Nebelspalter› erhebt, sich lustig macht, ihn schlecht schreibt. Franz Hohler (einst fleissiger Nebi-Mitarbeiter) tat es in seinem jüngsten Bestseller «Es klopft». Das muss uns nicht schmerzen, denn einen Franz Hohler («einer der grössten Erzähler seines Landes», Klappentext) kann sich der ‹Nebelspalter› nicht (mehr) leisten, einen Peter Schneider (dessen Honorar für seinen Textschnipsel in der «Sonntagszeitung» wir hier nicht breitschlagen wollen) auch nicht. Und weder Lorenz Keiser (der im ‹Nebelspalter› seine Karriere begann) noch «Victor Giacobbo» (dessen Casino-Theaterinserate im ‹Nebelspalter› von einem kaufkräftigen Publikum beachtet werden) liegen im Budget: Aber selbst die finanzstarke Tamedia konnte die beiden letztgenannten nicht als Freitags-Satiriker halten.

Eine der gröbsten – und dümmsten – Breitseiten schoss der im fernen Berlin weilende Medienblogger Schweizer R. G. ab. Ergebnis seines Nebelspalter-Tests: einer von zehn Punkten («Micky Maus»: neun von zehn). Der Tagi-Journi T. K. charakterisierte das im thurgauischen Horn produzierte Satiremagazin als «den kranken Mann vom Bodensee», der deshalb nicht schlecht zu den Ärzte-Wartezimmern passe, in denen er doch vornehmlich anzutreffen sei. Und auch B. F., eine bloggende Kolumnenschleuder, «kotzte» in die «NZZ am Sonntag» folgenden Befund: «Der ‹Nebelspalter›, einst die humoristische Landesverteidigung der Schweiz, dümpelt nur noch vor sich hin. Mehr als antiamerikanische Zeichnungen und Fasnachtswitze scheinen den Zeitschriftenmachern nicht mehr einzufallen.»

Spalten wir also etwas den Nebel. Könnte es allenfalls sein – wir fragen –, dass einer der soeben zitierten geschmacksicher-ennuyierten Satireexperten sich allenfalls 2004 vergeblich um die Stelle als Chefredaktor des ‹Nebelspalter› bewarb? Es wurde eine andere Wahl getroffen, sorry. Könnte es weiter sein – wir fragen –, dass ein anderer unter den oben Zitierten, kaum war seine «fundierte» Analyse des helvetischen Humorschaffens erschienen, dem Nebi mildtätig seine Mitarbeit angeboten hat? Und können Sie es mir als Leser verargen, wenn wir nun dem Gerücht, auch der dritte der oben Zitierten werde demnächst Texte zur «Verbesserung des Humor-Niveaus» nach Horn schicken, einige Glaubwürdigkeit beimessen? Wäre dies nicht menschlich - vielleicht allzu menschlich? (über journalistische "Nestbeschmutzer" hier)

Kleiner Hinweis: Constantin Seibt («Journalist des Jahres 2007», Verlagswerbung: «Nebelspalter tot – Seibt lebt»), der als Widerpart des preisgekrönten «Weltwoche»- Kolumnisten Mörgeli scheiterte und nun als Freitags-Satiriker des «Tages-Anzeigers» die Probezeit überlebt hat (1. Kolumne nach den Ferien am 5. September), versuchte es Mitte Neunziger – als er noch jung und hungrig war – zusammen mit dem heute gefeierten Literaten Peter Stamm mit der «Rettung des Nebelspalters». Doch der Erfinder der «Familie Monster» (WoZ-Kultkolumne) räumt der «Willensnation» gegenüber ein: Neben der Arbeit bei der «Wochenzeitung», sei eine weitere Satirefront trotz «geschissen guter Honorare» damals für ihn einfach «little too tough» gewesen. Es war übrigens diese geniale «Raschle-Truppe», die für jene Abonnentenflucht sorgte, die den «Nebelspalter» wirtschaftlich an den Abgrund brachte.

Seit dem Relaunch des «Nebelspalter» 2005 haben nebst den soliden Nebi-Urgesteinen aus der Ex-DDR, den alten Bundesländern, Österreich und der Schweiz folgende extra-lustige Eidgenossen regelmässig Beiträge publiziert: Andreas Thiel (Prix Pantheon 2005, Prix Cornichon 2008), Simon Enzler (Salzburger Stier 2007), Pedro Lenz (Literaturpreis „Arbeit und Alltag“ 2004, CH-Hoffnung Klagenfurt 2008) und Gion Mathias Cavelty (einst «literarische Entdeckung», Klagenfurt-Kandidat nun Weltwoche-Kolumnist und Star-Blick-Reporter).

Die Abonenntenzahl hat seit 2005 um mindestens 20 Prozent zugelegt, preisbewusste Inserenten haben das begriffen, die hippen Tussis in den Medienagenturen in Zürich noch nicht (aber die verlassen sich ja auf die «Kerle von Geist und Witz» in den Blogs und Blätter).

Wer meint, er sei witziger als der ‹Nebelspalter›, der soll es doch zuerst mit Sketches für das «Turnerchränzli» oder Beiträgen für die örtliche Fastnachtszeitung versuchen oder – vielleicht noch besser: Klappe halten. In Horn gesucht sind aber weiterhin hungrige Talente mit Potenzial.

Giorgio Girardet


PS: Am 5. September ist der «Tagi» mit Seibt-Kolumne (Fr 2.50) und der neue «Nebelspalter» (Fr. 9.80) am Kiosk: Wo ist wohl der Satire-Franken besser angelegt?



PPS: Disclaimer: der Verfasser ist seit 2005 Kolumnist im "Nebelspalter"

9 Kommentare:

uertner hat gesagt…

Tja, mal sehen, ob die Kommentarfunktion funktioniert.

Ronnie Grob hat gesagt…

Na dann freu ich mich doch für den Nebelspalter, wenn seine Abonnentenzahl um 20% zugenommen hat. Ich werde wohl auch in Zukunft kaum dazugehören.

Ich glaube, wenn man versucht, was lustiges zu machen, dann muss man auch mit den Menschen leben können, die das nicht so lustig finden.

Vielleicht ein etwas dickeres Fell wachsen lassen?

Anonym hat gesagt…

Kommentarfunktion funzt aber 1. ist mir aufgefallen, dass mein Bildschirm staubig ist und 2. dass ich den Text in Word werde kopieren muss, um ihn augenschonend lesen zu können.

Anonym hat gesagt…

Lesenswerte Replik von Neuromat übrigens auf der Blogwiese:
http://www.blogwiese.ch/archives/930#comment-734501

Thinkabout hat gesagt…

an RG: Es ist immer wieder fein, wenn man anderen ein dickereres Fell wünscht. Nur: Besitzt man es selbst auch? Es ist ja doch menschlich, die Kritik an sich selbst oder am entsprechenden Produkt ernster zu nehmen als am einfach so auch gelesenen Leibblatt. Ich glaube nicht, dass wir Blogger, Sie, R.G. explizit eingeschlossen, da eine Ausnahme sind.

Darüber hinaus ist es keine Frage: Über nichts lässt sich so trefflich streiten wie über Satire. Und das schlimmste, was dem Nebelspalter passieren könnte, ist, dass man ihn nicht mal mehr kritisiert. Und so lange ein Herr Thiel und Ihre Wenigkeit für das Blatt schreiben, ist dafür gesorgt, dass das Wort scharfschnittig und doch feinsinnig seine Wirkung entfaltet, auch mit Lachfalten.

Ich auf jeden Fall finde nichts so schwierig, wie humorig zu schreiben, ohne beliebig zu werden. Vorgetragene "Kleinkunst" ist daher, gerade wenn sie nur mit Druckerschwärze ihre Wirkung entfalten muss, wirklich hohe Kunst. Und wenn mir dabei das Lachen kommt - oder der Lacher im Hals stecken bleibt - dann können Dritte über das Blatt sagen was sie wollen: Ich habe dann definitiv meine eigene Meinung.

Die hier angedeuteten Verhaltensweisen "vornherum und hintenrum" sind allerdings Phänomene, die ich mittlerweile auch kenne, über die ich mich aber stets so ärgern werde, dass da keine Satire darüber hinweg hilft...

Ronnie Grob hat gesagt…

@Thinkabout: Klar, jeder ist sensibel. Vor allem, wenn Produkte kritisiert werden, die man selbst gefertigt oder an denen man mitgearbeitet hat. Ich glaube aber, dass von aussen angestrengte Verbesserungen nur nur mit ernsthafter Kritik zu erreichen sind. Folglich ist mir jedenfalls ein ehrlicher Verriss lieber als betretenes Schweigen. Auf den Verriss kann man immerhin reagieren mit einem Arsenal an Möglichkeiten (Empörung oder Ignoranz, Entgegnung, Verbesserung zb). Kritik zu erhalten ist immer eine Möglichkeit, etwas zu ändern. Ich glaube, wer gerne lernt, muss sich dazu bringen, gerne kritisiert zu werden. Auch wenn es je nach dem unangenehm ist.

Sowieso: Es beruhigt doch, dass niemand die Wahrheit gepachtet hat. Es gibt nur verschiedene Sichtweisen. Was einen gegenüber Kritik grundsätzlich sehr locker machen sollte. Was nicht heisst, dass man sie nicht sehr ernst nehmen soll.

uertner hat gesagt…

@alle
Die Kommentarfunktion funktioniert nicht nur, es wird auch kommentiert und von bekannten Bloggern. Seid mir alle gegrüsst.

@Ronnie Grob
Deine Kritik war ja wirklich ein Steilpass, den man verwerten musste. Ich tröste mich mit einem Aphorismus Lichtenbergs:
"Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstossen und es klingt hohl, ist das allemal im Buch?"

Und Werbespruch der Agentur ANGG im "Werbespalter" vom Januar:
"Die besten Pointen sind nicht die, über die man am lautesten lacht.
Sondern die, über die man am längsten nachdenkt."

Wir gehen noch ein Bier (botellin) trinken Ronnie, wenn du mal wieder in Zürich bist. Deine Kritik hat übrigens auf der Leserbriefseite der heutigen Ausgabe Niederschlag gefunden. Und die Titelkarrikatur von Schmid ist auch ganz nett:
http://www.nebelspalter.ch/index.php?id=87

Thinkabout hat gesagt…

Huch, Herr Girardet, habe ich Sie tatsächlich Ihre "Wenigkeit" genannt??? Verzeihung. Passt wohl eher auf uns scheinbar bekannte Blogger - das ist nämlich zuviel der Ehre.
@ronniegrob: na, diese Haltung ist doch nur schon als Absichtserklärung ein guter Anfang!

Anonym hat gesagt…

Vielleicht liegen Kritiker und Verteidiger in diesem Falle ja gar nicht so weit auseinander. Ich glaube, beide würden dem Nebelspalter wieder ein bisschen mehr Gewicht und Wahrnehmbahrkeit wünschen.

Über den Umgang mit Kritik:
http://flashfrog.wordpress.com/2008/09/05/konstruktive-kritik/