Dienstag, 1. Juni 2010

Mehr als ein kindliches «Danke» (Bettag 2009)


Der Bettag ist der älteste Feiertag der Eidgenossenschaft. Im säkularen Staat fristet er ein Nischendasein: Ein Relikt des angeblich abgeschafften Sonderfalls.

Der Eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag ist ein Kind der radikal-liberalen Regeneration der 1830er-Jahre. 1832 stellte der eben «regenerierte» Kanton Aargau der eidgenössischen Tagsatzung den Antrag, den 3. Septembersonntag als Eidgenössischen Bettag einzuführen. Die radikalen «Pfaffenfresser» begriffen, dass – nach dem berühmten Diktum Professor Böckenfördes – «der Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht schaffen kann». Und so wurde der Bettag in den Jahreskreis des Hirtenvolkes eingeschrieben: Vielfach fällt er mit Alpabzug und Kästeilet zusammen.

Der Bettag erinnert den Staat daran, dass er nur als Hilfskonstruktion im irdischen Jammertal seine Berechtigung hat, er öffnet den Alltag für letzte Sinnfragen und gibt den staatlich anerkannten Kirchen die Gelegenheit, nicht nur ihre Schäfchen zur Gewissensprüfung anzuhalten, sondern auch dem Staat die Grundwerte in Erinnerung zu rufen.

Bettagsmandate. Der Bettag war der erste nationale Feiertag der modernen Schweiz von 1848, die auch – wie der Bund von 1291 – «im Namen des Allmächtigen» gegründet wurde. Die Kantonsregierungen liessen an diesem Tag «Bettagsmandate» von den Kanzeln verlesen. Seit 1886 veröffentlicht die Bischofskonferenz – die geistliche Vertretung der unterlegenen Sonderbundskantone – einen Hirtenbrief. Reformierte Kirchenräte oder auch Regierungspräsidenten erlassen «Bettagsmandate», die in den Bettagspredigten aufgenommen werden, in den Kirchen aufliegen, im Internet «downloadbar» sind. Die Bischofskonferenz legt in ihrem diesjährigen Hirtenbrief den Akzent auf die Versöhnung durch den Opfertod Christi.

Die reformierten Landeskirchen oder die Regierungen der reformierten Kantone haben aus ihrer Tradition unterschiedliche Stücke ihren Gläubigen vorgelegt. Während der Synodalrat der Kirche Bern–Jura–Solothurn auf die Bedeutung der christlichen Werte für unsere staatliche Tradition eingeht, erinnert der Kirchenrat des Kantons Zürich mit dem Propheten Micha, was der Herr von den Gläubigen fordert: «Nichts anderes, als Recht zu üben und Güte zu lieben und in Einsicht mit deinem Gott zu gehen.» Unter diesem Motto wird zur Globalisierung der Verantwortung aufgerufen. Und der Regierungspräsident des Kantons Baselland macht sich Gedanken über ökologische Nachhaltigkeit auf globalem Niveau.

Die Luzerner Regierung hat den Bettag 2009 dazu benutzt, nebst den drei öffentlich-rechtlichen Landeskirchen (Katholiken, Christkatholiken, Reformierte) auch die muslimische Gemeinschaft zu einer Teilnahme aufzurufen. Der Tag, an dem sich die Eidgenossenschaft auf den Willen des Allmächtigen bezieht wird nun im Kanton Luzern auch zum Integrationsanlass für die Gläubigen, die an Allah, den Allerbarmer glauben. Das Kalkül, das man in Luzern damit verfolgen dürfte: Mit den integrationswilligen Muslimen will man die schnarchende Christenheit wecken.

Light-Version. Die Übersicht über die Bettagsbotschaften gibt eine geistig-geistliche Landkarte der Schweiz. In Basel-Stadt werden Bibelworte von der Regierung nicht mehr gebraucht, das diesjährige Bettagsmandat wurde bis Freitag nicht unter den Medienmitteilungen des Kantons aufgeschaltet: Niemand scheint es zu vermissen. 2008 begnügte sich der Verfasser des Mandats mit Endo Anacondas «Gott ist vielleicht Poesie» und einem Hinweis auf den 40. Todestag von Karl Barth. Auch Regierungsrat Christoph Eymann begnügt sich mit staatsmännischen Überlegungen zu einem fakultativen Tag, für jene «die das Bedürfnis dazu haben».

In dieser verdünnten Light-Version des Bettags hat dann nur noch der Hinweis auf die Dankbarkeit als anthropologischer Konstante Platz. Und hier trifft sich die Basler Botschaft mit jener Luzerns, die alle abrahamitischen Religionen befriedigen will: Was wir dem Dreikäsehoch vor der Schranke der Fleischbank beibringen: Das Danke für das Wursträdli wird zur letzten geistigen Verteidigungslinie einer multikulturellen Ichgesellschaft. Ob das an symbolischer Sinnkommunikation in unserem Staatskunstwerk genügt?

Erstmals erschienen in der "Basler Zeitung" zum Bettag 2009

Weiteres zum Thema "Bettag" hier.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

(Leserbrief aus der "Basler zeitung")
Bekenntnis zu Humanität

Mehr als ein kindliches «Danke»; bazkulturmagazin 19. 9. 09

Zum Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag (20. 9.) wollten die Kantonsregierungen ihre Bürgerinnen und Bürger mittels den alljährlichen Bettagsmandaten zu vertieftem Nachdenken über richtungsweisende ethisch-moralische Werte anregen. Dem zusammenfassenden Artikel von Giorgio Girardetist zu entnehmen, dass dieses Jahr offenbar nur einige Kantone christliche beziehungsweise biblische Grundinhalte explizit darlegten. Die Regierung von Basel-Stadt zog es vor, ein äusserst wichtiges integrierendes Element des Menschlichen ins Zentrum der Betrachtungen zu setzen, nämlich die Dankbarkeit: «Dankbarkeit (…) stärkt die Wahrnehmung, die Achtung gegenüber anderen …» Albert Schweitzer sah in der Dankbarkeit eine starke Vorbildlichkeit: «Die Dankbarkeit, die wir antreffen, hilft uns, an das Gute in der Welt zu glauben, und stärkt uns dadurch, das Gute zu tun.» So gesehen, darf der Leser im Basler Bettagsmandat 2009 ein Bekenntnis zu echter Humanität sehen.

jürg h. maurer, riehen