Freitag, 23. September 2011

Der Bettag: Ein Geschenk des Kulturkantons

Essay Die Wogen schlugen hoch, als es 1832 darum ging, einen eidgenössischen Dank-, Buss-, und Bettag festzusetzen.

VON GIORGIO GIRARDET

„Das ist eine diplomatische Kriegserklärung!“, rief im Juli 1832 St.Gallens Tagsatzungsgesandter den Vertretern der katholischen Innerschweiz zu. Diese verweigerten den liberalen Verfassungen der regenerierten Kantone die Garantie. Im Frühjahr hatten sich Luzern, Bern, Zürich, Aargau, Thurgau, Solothurn und St.Gallen zum Siebnerkonkordat zusammengeschlossen. Damit war Artikel 1 des Bundesvertrags von 1815, die wechselseitige Anerkennung der Kantonsverfassungen, grundsätzlich in Frage gestellt. Die Eidgenossenschaft fieberte.

Auf der Schwelle zum Bürgerkrieg

Auf der Basler Landschaft war der Groll gegen die konservativen Handelsherren der Stadt längst handgreiflich geworden, in Schwyz waren die „Ausserschwyzer“ in offenem Aufruhr. Die entfesselte Presse führte den Glutherden der Revolte Luft und Argumente zu. Gegen „Aristokraten, Jesuiten und Pietisten“ zog die „Appenzeller Zeitung“ deftig vom Leder. Sie war, wo Fürst Metternich das Sagen hatte, verboten. Basel setzte ihr 1831 die konservative „Basler Zeitung“ entgegen. Im gleichen Jahr kamen „Berner Zeitung“ und das „Solothurner Blatt“ - beide liberal – neu heraus. Die Verfassungsabstimmung in Luzern 1831 heizte das Klima auf:

"Das Volk, zum ersten Mal zu dem hochwichtigen Souveränitätsakte berufen, wurde mit schriftlicher und mündlicher, geistlicher und weltlicher Rathgebung, mit Versammlungen, Reden in Kirchen und Schenken, wahren und lügenhaften Darstellungen gequält und unterhalten zugleich."
„Kannengiessen“ wurde diese neue Debattierseuche genannt. Fürst Metternich erwog, die Neutralität der Schweiz ausser Kraft zu setzen, den liberalen Eiterherd aus seinem Europa wegzukartätschen. Uri, Unterwalden, Schwyz, Basel und Neuenburg warteten darauf. Unmöglich sich in diesen Spannungen auf eine Eidesformel für die eidgenössischen Offiziere zu einigen!

"Es beweist grossen politischen Verfall, wenn man sich nicht auf einen Tag vereinigen kann."
Der Aargauer Tagsatzungsgesandte an der Bettagsdebatte am 1. August 1832


Gott sei Dank war Metternich anderweitig beschäftigt! Die Schweiz bot im Sommer 1832 ein Bild des Jammers.

Schlüsselrolle des Kulturkantons

Als konfessionell paritätischer Kanton hatte der Aargau die Spannungen zwischen Katholiken (Freiamt und Fricktal), Reformierten (alter Berner Aargau) und gemischten Territorien (Grafschaft Baden) in seinen republikanischen Institutionen zu bändigen und zu gestalten. Um 1800 hatte der helvetische Bildungsminister Philipp A. Stapfer, ein aufgeklärter Pfarrersohn aus Brugg, versucht gegen den Trend der totalen Privatisierung der Religion, die Pfarrer als Träger der „Moralreligion“ im Staatsdienst zu halten.

Kirchlich-republikanisches Fest

Diese Tradition prägte die Landeskirchen des Aargaus. Es war dann auch der Aargau, der am 1. August 1832 der Tagsatzung den Antrag vorlegte, einen „eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag“ fürderhin gemeinsam auf den 2. Septembersonntag zu legen.

Basel hätte lieber einen Wochentag zum Busstag erhoben, Zürich lieber „der Söhne wie St. Jakob (1444) sie sah“ gedacht, Fribourg wollte seine Bürger am 2. Sonntag tanzen lassen. Beschwörend mahnte der Aargau, er halte „den Bettag für ein kirchlich-republikanisches Fest, und es beweise grossen politischen Verfall, wenn man sich nicht auf einen Tag vereinigen könne“. Neuenburg monierte, Staat und Kirche seien getrennt und beten dürften auch Aristokraten.
Man einigte sich auf den 3. Sonntag. Heinrich Zschokkes „ Schweizerbote“ meldete: „Endlich hat die Eidsgenossenschaft doch die Freude wieder einmal erlebt, dass von ihrer höchsten Behörde ein einhelliger Beschluss zu Stande gebracht worden“. Das gemeinsame Danken und Beten, war 1832 die letzte Bastion eidgenössischen Gemeinsinns. Und vielleicht war es wirksam, denn der kurze Bürgerkrieg kam erst 1847 und kostete nur 200 Menschenleben.
Am Bettag schweigen die Kannengiesser: Die Regierung redet als „christliche Obrigkeit“ über das alte Medium der pfarrherrlichen Kanzelrede im Bettagsmandat den Bürgern ins Gewissen. Und dies just in den als säkularen Rechtsstaaten verfassten Kantonen des Liberalismus: Säkularisation dank Transzendenz.

(erschien zuerst in der "Aargauer Zeitung" vom Samstag 17. September 2011, S. 42)

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