Alle vier Jahre müssen
sich die reformierten
Pfarrerinnen und Pfarrer im Kanton
Zürich der Wiederwahl
stellen. Das neue Kirchengesetz hat
ihre Amtszeit reduziert, um die
Einbindung der Kirche in die
demokratischen Strukturen zu
betonen.
Giorgio Girardet
Das erste Mal seit
der Einführung der neuen
Kirchenordnung werden an diesem Wochenende im
ganzen Kanton Zürich die
Pfarrerinnen und Pfarrer der reformierten
Kirchgemeinden an der Urne auf Vorschlag
der Kirchenpflegen bestätigt – oder
allenfalls nicht mehr wiedergewählt. Die
Amtsdauer von neu vier Jahren ist
die logische Folge des 1967 eingeführten
Zuordnungsmodells in der Gemeindeleitung – der Organisationsform also, in der
Pfarrer und Kirchenpflege Entscheide in
einem fairen, respektvollen
Meinungsbildungsprozess gemeinsam fällen
müssen.Wie eine Umfrage unter den
Dekanen zeigt – sie vertreten die
Pfarrkapitel gegenüber den
Bezirks-Kirchenpflegen und dem Kirchenrat –, sind
die verkürzte Amtsdauer und die
zusätzlichen Kosten der häufigeren Wahl
nach wie vor Gesprächsthema in der
Pfarrerschaft.
Wahlen nach neuer Regelung
Erstmals können
sich an dieser Bestätigungswahl alle Reformierten
beteiligen, die über 16 Jahre
alt sind, auch die ausländischen Kirchenmitglieder
– eine Regelung der neuen
Kantonsverfassung, welche die
Gemüter einiger bürgerlicher Politiker
erhitzte, weil damit das
Ausländerstimmrecht zumindest im Kirchenvolk
verankert wurde. Mit der neuen
Kirchenordnung findet das Zuordnungsmodell
nun – analog zu
den Mid-Term-Wahlen in
den USA – im Wahlrecht seinen
sichtbaren Niederschlag. Wurden 2010 die
Kirchenpflegen mit der üblichen
Legislatur von vier Jahren nach der
neuen Kirchenordnung bestellt, ist es
nun – zwei Jahre später – am Kirchenvolk,
die Pfarrer entsprechend den Empfehlungen
der Kirchenpflegen zu bestätigen. Aber die Analogie
zu den Mid-Term-Wahlen ist
trügerisch. Während der Präsident der USA mit einem
Veto alle Beschlüsse der Legislative
stoppen kann, nimmt der Pfarrer
nur mit beratender Stimme und
Antragsrecht an den Sitzungen der Kirchenpflege
teil. Das Zuordnungsmodell bleibt deshalb in
der Pfarrerschaft
umstritten. Es sei ein Schönwettermodell,
das in Konfliktsituationen keiner Seite
erlaube, den «Karren aus dem
Dreck zu ziehen», wird oft
kritisiert.
Antiautoritäres Erbe
Der Abbau der
einstigen Machtstellung des auf Lebenszeit
gewählten Gemeindepfarrers vollzog sich Ende
der sechziger Jahre im
Gleichschritt mit der Entzauberung der
Volksschullehrer und der «Götter inWeiss».
Hatte der Gemeindepfarrer vor 1869 eine
Stellung, wie sie heute nur noch Universitätsprofessoren geniessen, wurde
er durch die Idee der demokratischen
«Volkskirche» den Lehrern gleichgeordnet.
Diese verloren mit dem neuen
Volksschulgesetz sowohl die Volkswahl wie den
Beamtenstatus. Indem die Pfarrwahlen
einem in die Behördenwahlen eingepassten
Vierjahresrhythmus unterworfen
werden, gleichen sich die Pfarrer
in der Wahrnehmung des Wahlvolks den
Politikern an, die sich alle vier Jahre an der
Urne einem «Rating» stellen müssen.
Was man im Fall der Lehrer wegen der
Möglichkeit einer Abwahl als unwürdig empfand und im neuen Schulgesetz
abschaffte, wurde nun für die
Pfarrerinnen und Pfarrer als sinnvoll beurteilt
und eingeführt. Mit dem
partnerschaftlichen Modell in der
Gemeindeleitung wurde bei den Zürcher
Reformierten eine Organisationsform eingeführt, die
der damalige Zürcher
Stadtpräsident Sigmund Widmer 1973 beim
450-Jahre-Jubiläum der Zürcher
Disputation als «Harmonie ohne Klang»
kritisierte. Die Befürworter der neuen Regelung
argumentierten damit, die Wahl
gebe den Kirchenmitgliedern eine Möglichkeit,
sich zu beteiligen.
Wüste
Abwahlschlachten seien bei der
verkürzten Amtsdauer nicht zu erwarten.
Anderseits werde das Pfarramt durch dieWahl in
kürzeren Abständen wahrnehmbarer.
Abwahlen unwahrscheinlich
Die Abwahl des von
der Kirchenpflege empfohlenen
Pfarrers wird nur in Rafz von einer
Gruppierung angestrebt. Solche Bestrebungen kamen
auch schon unter der alten
Ordnung vor, wie Nicolas Mori, Mediensprecher
der Landeskirche, bestätigt. In 5
bis 6 der 179 Kirchgemeinden im
Kanton Zürich kam
es jeweils zu
strittigenWahlen, die allerdings nur in 1 bis 2
Fällen eine Abwahl zur Folge hatten.
Es zeigte sich immer, dass gewichtige
Gruppierungen unzufrieden sein müssen,
damit eine Abwahl
oder nur schon ein
knapper Wahlausgang zustande kommt.
Allgemein werde
die Arbeit der Pfarrerinnen und
Pfarrer geschätzt, so die Dekane. Darum
sei auch mit einer höheren
Stimmbeteiligung zu rechnen als bei den Wahlen
ins Kirchenparlament, die Synode. Diese
sind vor einem Jahr bei einer
Beteiligung von unter 30 Prozent sehr
geräuschlos verlaufen, obwohl es in einzelnen
Bezirken zu Kampfwahlen kam.
Ob sich der Vierjahresrhythmus in der Pfarrwahl
bewähren wird, lassen die
Dekane offen. Immerhin äussern
sie eine gewisse Skepsis.
Möglicherweise werde diese Regelung durch die
gesellschaftlichen Veränderungen
ohnehin bald überholt.
Tatsächlich muss
sich die Kirche fragen, ob sie durch
Bestätigungswahlen im fast schon
«sowjetischen Stil» nicht eher eine
Karikatur der Demokratie liefert, als dass sie einen
Beitrag dazu leisten
würde, dass sich
die Pfarrerinnen und Pfarrer wieder
vermehrt profilieren – das heisst, dass
sie auch einmal ein unbequemes Wort wagen und
sich nicht nur unter
Vermeidung von Fettnäpfchen
im geschmeidigen
Pas de deux mit der Kirchenpflege
von Wiederwahl zu Wiederwahl
hangeln.
Erschienen in der "Neuen Zürcher Zeitung" Nr. 58 vom 9. März 2012, Seite 20
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