Mittwoch, 15. Februar 2012

Kirche und Staat, das Gelöbnis (Vereidigung) und die „Basler Tradition“

Das Dienstpersonal soll schwören, der Grossrats-"Daig", weiss was sich "gheert" auch ohne "Scharade": Polizeiaspirant bei der Vereidigung vor Regierungsrat Hanspeter Gass in der Martinskiche am 14.Dezember 2010
Bekanntlich ist der eidgenössische Stand Genf einer der wenigen Kantone, in denen Kirche und Staat vollständig getrennt sind. In Basel-Stadt ist die Trennung bloss: „perfektioniert-hinkend“. Erstaunlicherweise hat gerade der als „Religionsterrorist“ verschrieene Genfer Reformator und brillante Jurist Johannes Calvin diese Lösung schon zu seinen Lebzeiten vorgespurt. Kein anderer reformierte Stadtstaat der Schweiz hat das Uhrwerk seiner republikanischen Institutionen so exakt austariert und justiert wie Genf, das „protestantische Rom“ (1555), das „neue Jerusalem der Völker“ (1919). Dieses fand gerade auch in dem von Calvin– in Rücksprache mit den übrigen reformierten Kirchen der Schweiz – bloss theologisch gebilligten, aber von der säkularen Justiz der „République de Génève“ nach der seit 1532 gültigen kaiserlichen Hals- und Gerichtsordnung (Carolina) auf dem Scheiterhaufen effektvoll inszenierten Todesurteil für den Ketzer Servet 1553 seinen drastischen Ausdruck.
Solche kalte Konsequenz blieb den anderen Reformierten erspart – und fremd. In Bern, Zürich und Basel blieben Staat und Kirche institutionell verbandelt: und weder ein Michael Servet, noch ein Hannibal Gaddafi bekamen je Probleme mit deren Justiz. Der Filz kennt softere Lösungen. Die Basler Philosophin, Ritualanbieterin, Verfassungsrätin und Grossrätin Martina Bernasconi regte 2011 in einem Anzug an, auch der Kanton Basel-Stadt möge von seinen Grossräten ein Gelöbnis (Amtseid) einfordern, wie es, bis auf Basel-Stadt und Innerrhoden, alle anderen Kantonsparlamente kennen. Nur die Basler Pietisten und die innerrhoder Katholen verzichten auf dieses zivile Ritual. In beiden frommen Halbkantonen macht das Vertrauen in den kuscheligen, konfessionellen „Daig“ eine Eidesformel beim Eintritt in ein weltliches Amt überflüssig (man kennt sich aus Gymi, Militär und Kirche): dumm sind die anderen: die Ausserrhödler, die Landschäftler. Wir meinen aber, eine solche Gelöbnisformel hätte vielen kirchenfernen und atheistischen Grossräten bei der Frage der „kleinen Anerkennung“ von Religionsgemeinschaften eine Wegleitung (guide) gegeben. Hätten sie die Genfer Formel schwören müssen:

Je jure ou je promets solennellement, de prendre pour seuls guides dans l‘exercice de mes fonctions les intérêts de la République selon les lumières de ma conscience, de rester strictement attaché aux préscriptions de la constitution et de ne jamais perdre de vue que mes attributions ne sont qu‘une délégation de la suprême autorité du peuple; d‘observer tous les devoirs qu‘impose notre union à la Confédération suisse et de maintenir l‘honneur, l‘indépendance et la prospérité de la patrie; de garder le secret sur toutes les informations que la loi ne me permet pas de divulguer. (siehe auch hier)
Die Basler Grossräte hätten als weltliche Behörde davor zurückgeschreckt, auf ihre historische Kirche (in Genf die église de Génève) und die weltberühmte Theologiefakultät (l’académie de Calvin!, in Basel: der Lehrstuhl Karl Barths!) als intellektuellen Standortfaktoren durch die Anerkennung von Christen-Sekten wie die esoterische „Christengemeinschaft“ und die auserwählte „neuapostolische Kirche“ auch nur den Schatten eines Zweifels fallen zu lassen.

Ohne diese Wegleitung im Amtseid (Gelöbnis) setzten sich die Partikularinteressen der Basler Grossräte hemmungslos durch. Die atheistische Juristin Tanja Soland (SP) findet Religionen gehören vom Staat kontrolliert (ein Genfer wäre entsetzt!), die Philosophin Martina Bernasconi (GLP) hofft auf vermehrte Kundschaft für ihre „philosophischen Rituale“ („Kirche und Religion spielen in unserer säkularisierten Gesellschaft eine immer kleinere Rolle“). Jede und jeder kocht auf der Zerstörung des in der Kirche Oekolampads und der theologischen Fakultät über Jahrhunderte gehüteten Basler Gemeinsinns sein individuelles Süppchen. Selbst deren emeritierter Pastor, Thomas Müry (LDP), übt sich im liberalen Athletismus der Berpredigt. Weder mit Naivlingen der Bergpredigt noch mit der „Niemandsnorm“ ist ein säkularer Staat zu machen. Ein Gelöbnis schüfe Klarheit, schärfte das Gewissen gegen Filz und Trägheit. Es wurde dann am 26. Oktober 2011 eine sehr baslerische Grossrats-Debatte.
Soll es mehr Disziplin im Rat schaffen? Da sehe ich schwarz, ich denke nicht, dass diejenigen Mitglieder des Rats, die am Morgen ihre Präsenz markieren und nach Sicherung des Sitzungsgeldes den Saal verlassen, wieder zurückholt.“
monierte der IV-Arzt und Menschenkenner Philippe Pierre Macharel (SP) und die grüne Frau, Brigitta Gerber (GB), erkannte richtig:
„Absicht scheint zu sein, die Grossräte und Grossrätinnen in ihrer Einstellung zu ihrem Amt zu verändern“.
(dies sei ferne! Solches geht nur für dumme Bullen!) um dann zu folgern:
„Wir müssen es für einmal nicht wie ein Grossteil der schweizerischen Kantone halten.“
Auch der liberale Conradin Cramer (LDP) kam zum Schluss:
„Aber es ist nun einmal keine Basler Tradition.“
Und kramte dann in der moralischen Mottenkiste des Pietismus:
„Vielmehr habe ich den Eindruck, dass es eine Selbstbespiegelung ist, wie wir sie meines Erachtens eher zu viel als zu wenig machen.“
Der Liberale, der das Gymnasium Bäumlihof durchlaufen hat, roch instinktsicher die Sünde der Eitelkeit aus dem Anzug der attraktiven Tessiner Ritualanbieterin aus dem katholischen Internat Berömünster („ich habe mich in mein Leben verliebt“!). Vor solch ausgeflippten Frauenzimmern hatte ihn seine Erbtante schon immer gewarnt.
Mit 40 gegen 25 bei 5 Enthaltungen wurde am 26. Oktober 2011 eine kluge Gewissens- und Bewusstseinsschärfung der Grossräte beim Beginn der Legislatur zum wiederholten Male im Rhein versenkt. Wie viele der 30 (dreissig von 100!) abwesenden Räte trotzdem Sitzungsgeld kassiert haben, wissen wir nicht. Ein lausiger Gemeinderat ist eine Strafe Gottes, pflegte die Mutter des Urner FDP-Urgesteins Franz Steineggers zu sagen. Säkular ausgedeutscht: jeder Kanton hat das Parlament, das er verdient.

Aber Martina Bernsconi darf hoffen. Sie liegt im Trend, als Frau, als Ethik-Dozentin und säkulare Ritualberaterin und vor allem als Listenzweite der trendigen Grünliberalen. Sie wird 2015 geloben. Nicht für Basel, sondern – nachdem sie den Eröffnungsgottesdienst der Legislatur im Berner Münster geschwänzt haben wird – „solennellement“ für die Eid-Genossenschaft. Wir wünschen ihr Glück! – - nicht der Ritual-Tante, nein der Eid – pardon -- der Gelöbnisgenossenschaft!
Giorgio Girardet

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