Mittwoch, 10. September 2008

„Wir korrigieren uns selbst“ (Gertrud Höhler)

Heute 21.15 auf 3sat „Swissness – oder die neue Liebe zum alten Schweizerkreuz“


Ein Blick in die Statistik
Wir produzieren viel:
Am meisten: nationale Mystik.
Erich Kästner (um 1933)



Reizwort. Am schwersten tut sich mit der „swissness-Euphorie“ laut einer Studie des gfs-Institut die 40-65 jährige sozialdemokratische Wählerschaft: diese Generation, die zwischen Peter Bichsels „Des Schweizers Schweiz“ (1967) und der Weigerung der linken Intelligenzja 1991 über die 700jährige Eidgenossenschaft nachzudenken („Siebenhundert Jahre sind genug“) sich ein Weltbild des feministischen Anti-Spiessertums gegen die „geistige Landesverteidigung“ der vor68er gebastelt hat (siehe dieser "Kulturplatz" von SF). Wie effektiv dieser mentale Graben funktioniert, zeigte Anita Fetz anlässlich jener UNO-Debatte im Jahre 2001, die sie im eben trendig gewordenen swissness-t-shirt bestritt, wobei sich bei ihren SP-Genossinnen nicht nur die Nackenhaare sträubten, sondern auch – wie Figura zeigt ­– ein gernzitiertes „Ikon“ des Polit(Ego)marketings entstand. Wie breit das Anliegen mittlerweile abgestützt ist, zeigt dass sich SP-Frau Fetz mit SVP-Frau Jasmin Hutter einig sind, dass das Schweizer Wappen, bzw. die Herkunkunftsbezeichnung „Made in Switzerland“ eines verstärkten rechtlichen Schutzes bedarf. Dies obschon sich Miliz-Offiziere der beiden Parteien über Armeegrösse und Heimfassung der Dienstwaffe total uneins sind.

Dienstverweigerung. Diese tiefe Spaltung der Schweiz nach dem Fall der Berliner Mauer zeigte sich erstmals bei der EWR-Abstimmung 1992. Buchmüller setzt denn auch hier an und lässt die Geschichte des helvetischen Heimatgefühls gerafft Revue passieren: Vorwürfe wegen der Holocaust-Gelder, Bergierkommission, Grounding der Swissair und Design der neuen Marke „swiss“ durch den Ausländer Tyler Brulé, selbstironische „expo.02“ bis zur swissness-Euphorie der letzten Jahren, die 2005 in der Wahl des „erfolgreichsten Mister-Schweiz“ Renzo Blumenthal gipfelte: ein Bio-Bergbauer aus Romanischbünden. Buchmüllers Film hangelt sich den trendigen Marketing-Bildern entlang und illustriert damit auch die geistige Ratlosigkeit, welche den eher linken „Mainstream“ befällt, wenn er die „Marke Schweiz“ in einem globalen Markt positionieren muss. Hier versucht der Historiker Jakob Tanner ­– der Zuschauer urteile mit welchem Erfolg - die intellektuelle Ehre seiner Generation zu retten.

Selbsthilfe. Gerade Firmen, die global tätig sind oder versuchen, ein Produkt über „innere Werte“ zu verkaufen, sahen sich durch einen Grossteil der „heimatmüden“ schweizerischen Intelligenz im Stich gelassen. Der Seifensieder und Unternehmensberater Mark Laager etwa, reservierte früh (2001) die Domain http://www.swissness.ch/ um ein – bisher unbenütztes – Forum des Nachdenkens über „the swiss way of business“ zu schaffen. Jüngstes Beispiel der geistigen Selbsthilfe an der Front, ist der schweizerische Botschafter in Strassburg, Paul Widmer, der in seinem Buch „Die Schweiz als Sonderfall“, provokativ den seit 1991 selbst in Diplomatenkreisen verpönten Begriff als unverzichtbares „tool“ einer schweizerischen Diplomatie herausstreicht.

Gastarbeiter. Es sind denn auch die „geistigen Gastarbeiter“ in Buchmüllers Dokumentation, welchen die rhetorischen Rosinen aus dem Mund purzeln. Der Italo-Berner Massimo Rocchi erweist sich wieder einmal als tiefsinniger, geduldiger und liebevoller Beobachter unserer Eigenart und wenn die Literaturprofessorin Gertrud Höhler (einst Gefährtin des 68er Literaten Fauser, später geschätzte Beraterin von CDU-Bundespräsident Roman Herzog) mit ihrem wunderbaren deutschen Damengesicht kristallklare Apercus über den ethischen Gehalt des Bankgeheimnis ausspricht, dann fassen wir Eidgenossen eher Vertrauen, als wenn uns dasselbe in juveniler Brachialrhetorik vom Chefredaktor der „Weltwoche“ verkündet wird. Der Film Buchmüllers ist ein guter Denkanstoss in süffigen Bildern. Die Debatte über das Selbstverständnis der Schweiz muss weiter geführt werden.

3sat, 10.9.2008, 21.15: „Swissness – die neue Liebe zum alten Schweizerkreuz“ Doku von Ernst Buchmüller. Trailer auf http://www.youtube.com/user/ebuchmueller
Widmer, Paul. Die Schweiz als Sonderfall: Grundlagen, Geschichte, Gestaltung. Verlag Neue Zürcher Zeitung. 2007

1 Kommentar:

Jens-Rainer hat gesagt…

Herzlichen Glückwunsch zum neuen Blog! Was mich auf Anhieb besonders anspricht, dass sind natürlich die schönen Farben und die fantastischen Fotos. Weiter so! Und den besprochenen Film werde ich heute abend unter Garantie anschauen. In Schwarzweiss, natürlich.
Gruss, Jens Wiese