Sonntag, 31. Mai 2009

Die Ethik Johannes Calvins




Gottesdienst 24. Mai 2009, gehalten in Bubikon.

Text: 1. Thessalonicher 4,1-12:


Liebe Schwestern und Brüder,
wir bitten und ermuntern euch im Herrn Jesus, dass ihr so, wie ihr von uns unterwiesen worden seid, euer Leben zu führen und Gott zu gefallen
- und das tut ihr ja auch -dass ihr auf diesem Weg immer noch weiter geht. Ihr wisst ja, welche Weisungen wir euch im Auftrag des Herrn Jesus gegeben haben.
Das nämlich ist der Wille Gottes, eure Heiligung:
dass ihr euch fernhaltet von der Unzucht, dass jeder von euch in Heiligung und Würde mit seinem Gefäss, dem Leib, umzugehen wisse – nicht in begehrlicher Leidenschaft wie die Heiden, die Gott nicht kennen – und dass keiner sich hinwegsetze über seinen Bruder und ihn bei Geschäften übervorteile; denn über dies alles hat der Herr seine Strafe verhängt, wie wir euch schon früher gesagt und bezeugt haben.
Denn Gott hat uns nicht zu Unlauterkeit berufen, sondern zu einem Leben in Heiligung.
Darum:
Wer solches missachtet, der missachtet nicht einen Menschen, sondern Gott,
der doch seinen Heiligen Geist in euch hineinlegt. Über die Liebe unter
Schwestern und Brüdern aberbrauche ich euch nicht zu schreiben, seid ihr doch
selbst von Gott gelehrt, einander zu lieben. Und ihr tut das ja auch allen gegenüber, die zur Gemeinde gehören, in ganz Mazedonien.
Wir reden euch aber zu, liebe Schwestern und Brüder, darin noch verschwenderischer zu werden und euer ganzes Streben darauf auszurichten, in Ruhe und Frieden zu leben, das Eure zu tun und mit den eigenen Händen zu arbeiten,wie wir es euch geboten haben. Ihr sollt euch vorbildlich verhalten gegenüber denen, die nicht zur Gemeinde gehören, und auf niemanden angewiesen sein.


Liebe Gemeinde.
In meiner ersten Predigt zu Calvin vor rund einem Monat
habe ich Sie gefragt:
Warum sind Sie in die Kirche gekommen?
Heute frage ich:
Wozu sind Sie in die Kirche gekommen? - - -
Diese Frage wird unterschiedlich beantwortet:
Die einen meinen:
Wir gehen am Sonntag in die Kirche, um Gott zu dienen: Wir verzichten auf ausgiebiges Ausschlafen, den beliebten Sonntagsbrunch und die Wonne, im Pijama oder Trainer zu faulenzen. Wir ziehen uns an, nehmen den Weg in die Kirche auf uns, setzen uns auf die harten Bänke und geben Gott das, was wir ihm schulden: Wir danken ihm für seine Wohltaten, loben ihn mit Liedern und Gebeten und besinnen uns auf seinen Willen.

Andere haken genau da ein und sagen: Gott dienen muss ich nicht in der Kirche.
Das kann ich auch zuhause oder im Wald erledigen. Und dann fügen sie vielfach noch einen beliebten Vorwurf hinzu:
Die, welche am Sonntag in die Kirche gehen, sind sowieso häufig Heuchler.
Sie tun am Sonntag fromm. Die Woche hindurch sind sie aber keinen Deut besser als die, welche am Sonntag zuhause bleiben. Wozu sind Sie heute in die Kirche gekommen? Sicher protestieren Sie innerlich gegen die Antworten, die ich zitierte und hoffen nun, dass ich alles richtig stelle.
Ich lasse Sie aber noch ein wenig zappeln und schaue zuerst, was Johannes Calvin zu diesem Thema sagen würde. Eigentlich geht es hier um ein ganz zentrales Thema:
Um den Zusammenhang zwischen dem Glauben und dem Verhalten, um die christliche Ethik.

Bei Calvin scheint es klar zu sein:
Er treibt die Lehre von der göttlichen Vorsehung mit der doppelten Prädestination auf die Spitze:
Gott bestimmt alles im Voraus, Gutes und Böses. Darum ist es im Grunde genommen vollkommen egal, was wir Menschen tun und lassen. Ob wir in die Kirche gehen oder nicht,
ob wir Recht tun oder Unrecht – es tut nichts zur Sache, weil ohnehin alles kommt, wie es muss.
Interessanterweise kommt es bei den Nachfolgern des Deutschen Reformators Martin Luther tatsächlich zu solchen Folgerungen. Schon Luther selbst sieht einen schroffen Gegensatz zwischen Gesetz und Evangelium:
Das Gesetz des Alten Testaments, die Weisung zu einem guten und gerechten Leben, taugt nichts zum Heil, weil die sündigen Menschen es niemals einhalten können. Nur der Glaube an Jesus Christus und sein Evangelium der Liebe und Vergebung macht selig. Darum schreibt Paulus im Römerbrief:

Der aus Glauben Gerechte wird leben. Der Glaube macht gerecht – und nicht das
Tun des Gesetzes.


Gute Werke werden damit unwesentlich, ja sogar gefährlich, weil sie den Menschen blenden und wegführen vom einzigen, was ihm geboten ist: an Jesus Christus zu glauben. Die Geschichte hat die fatalen Folgen dieser Sicht gezeigt: Die Abwertung des Alten Testaments als
Buch des Gesetzes war mit ein Grund des Judenhasses, der im Holocaust gipfelte.
Und die Abwertung der guten Werke führte dazu, dass die deutsche
Kirche zu den Nazigräueln grossmehrheitlich schwieg und sich in den Glauben
an Jesus Christus allein verkroch.

Der aus Glauben Gerechte wird leben.

Wir haben vor einem Monat gesehen, dass Johannes Calvin dieses Schlüsselwort von Paulus noch schärfer auslegt als Luther:
Nicht einmal der Glaube ist eine menschliche Angelegenheit. Denn der Mensch ist so tief verblendet durch seine Sünde, dass er sogar unfähig zum Vertrauen in Gott und seinen Sohn Jesus Christus wird.
Auch der Glaube ist das reine und unverdiente Geschenk, das Gott uns je und je zukommen lässt, nicht wegen unserer Vorzüge und Qualitäten, sondern einzig aufgrund seines Erbarmens.
Glaube und Werke.
Am Anfang der Überlegungen Calvins zu diesem Thema steht eine totale Bankrotterklärung der menschlichen Tugend. Der Mensch kann sich nichts, aber auch rein gar nichts auf sich selbst
einbilden, weder auf seine guten Willen, noch auf seine Frömmigkeit, noch auf seine Vernunft und Kraft.

Interessanterweise führt bei Calvin nun ausgerechnet diese Bankrotterklärung zu einer enormen Hochschätzung der Ethik. Und genau dies zeigt, dass Calvin selbst seine Vorsehungslehre nicht so fatalistisch und trüb sieht, wie es ihm die Nachwelt andichtet.
Ausgerechnet die Vorsehung bildet für ihn die Grundlage der Ethik:

Der Gott, der alles im Voraus bestimmt und richtet, ist kein willkürlicher Tyrann. Nein, im Gesetz des Alten Testaments hat er sich selbst ausdrücklich auf die Gerechtigkeit verpflichtet.
Er hat damit versprochen, für seine Geschöpfe zu sorgen, ihnen ein gutes Leben zu ermöglichen, sie zu behüten.
Gewiss: der Anschein spricht oft drückend gegen dieses Versprechen.
Unsere Welt ist von Ungerechtigkeit und Grausamkeit bestimmt.
Auch Calvin selbst führte alles andere als ein sorgloses und behütetes Leben. Er war das halbe Leben auf der Flucht, verlor mit dem Tod seiner Ehefrau früh sein Liebstes und musste, als er langsam Erfolg und Ansehen erlangte, mit schlimmen chronischen Krankheiten kämpfen.
Trotzdem stellt er sich der Zumutung und bleibt beharrlich bei der Überzeugung, dass Gott zuletzt das Gute will und seine Gerechtigkeit durchhält.

Diese Haltung hat enorme Auswirkungen auf die Ethik:
Weil Gott vom Anfang bis zum Ende der Gerechte bleibt, ist die ganze Bibel als Wort Gottes hoch zu schätzen.
Ob Altes Testament oder Neues Testament – die ganze Schrift bezeugt denselben Gott.
Keines der beiden Testamente ist denkbar ohne das andere. Natürlich sieht auch Calvin in Jesus Christus, dem Sohn Gottes, den Vollender und Erfüller der Verheissungen und des Gesetzes.
Im Licht von Jesus Christus erhält das Gesetz aber erst seine wahre Bestimmung.
Calvin spricht vom „Tertius Usus legis“ – vom dritten Gebrauch des Gesetzes.

Um zu erklären, was das bedeutet, muss ich nochmals bei Luther ausholen. Dieser kennt zwei Funktionen des Gesetzes.
Zum einen soll das Gesetz das menschliche Zusammenleben regeln, das heisst: Raub, Mord und andere Verbrechen verhindern, Schwache schützen und so weiter.
Zum zweiten hält das Gesetz dem Menschen seine Unfähigkeit zum Guten vor Augen - und führt ihn so zum Glauben. Calvin teilt diese Sicht.

Für ihn stellt nun aber der Glaube selbst das grösste Geschenk Gottes dar, eine Gnadengabe, in welcher sich Gottes Erbarmen, Gerechtigkeit und Wille zum Guten spiegelt.
Uns Menschen bleibt nichts anderes als die Dankbarkeit für dieses riesige, unverdiente Geschenk.

Worin äussert sich nun aber diese Dankbarkeit?
Darin, dass wir den Willen Gottes tun und unser Leben heiligen, sagt Calvin.

Damit ist er ganz nahe bei dem, was uns Paulus im Predigttext nahelegt:
Das nämlich ist der Wille Gottes, eure Heiligung:

dass ihr euch fernhaltet von der Unzucht,
dass jeder von euch in Heiligung und Würde
mit seinem Gefäss, dem Leib, umzugehen wisse.
Das Leben heiligen –
unseren ganzen Alltag ins Licht der Gerechtigkeit Gottes stellen, welche durch Jesus Christus vollendet wurde. Das ist unsere Berufung.
Und weil die Gerechtigkeit Gottes im Gesetz des Mose festgeschrieben ist, sind wir berufen dazu, dieses zu erfüllen, nicht um das Heil zu erlangen, sondern aus Dankbarkeit für das Geschenk des Glaubens und zur Ehre Gottes.
Das ist der „Tertius Usus Legis“, der dritte Gebrauch des Gesetzes – in meiner Sicht der kostbarste Schatz, den uns Gott durch Calvin übergab.
Allerdings hat Calvin diese Sicht des Gesetzes nicht frei erfunden.
Sie ist wie angetönt schon bei Paulus angelegt. So schreibt Paulus in unserem Predigttext:


Gott hat uns nicht zu Unlauterkeit berufen, sondern zu einem Leben in Heiligung.
Darum:
Wer solches missachtet, der missachtet nicht einen Menschen, sondern Gott, der doch seinen Heiligen Geist in euch hineinlegt.


Das Leben in Heiligung ist für Calvin die Antwort des Menschen auf Gottes Gnade. Darum wird die Verantwortung für seine Ethik zentral:
Als Glaubende sind wir zu einem Leben in Verantwortung berufen, nicht bloss vor den Menschen, sondern vor allem vor Gott. Bei allem, was wir denken und tun, sind wir herausgefordert zu bedenken, ob es der Gerechtigkeit Gottes entspricht.
Das ganze Leben sollen wir heiligen. Es gibt keinen Moment, der der Verantwortung vor Gott entzogen ist.
Das ist ein hoher Anspruch.
Calvin ist sich bewusst, dass wir daran immer scheitern werden. Das Gesetz bleibt aber der Stachel im Fleisch der Christen, welcher sie zum Antworten auf Gottes Gnade anstachelt.
Weil aber Gott immer der Gerechte bleibt, welcher seine Güte zur Schöpfung durchhält, leben wir trotz unseres Versagens aus der Hoffnung: Am Ende steht nicht unser Versagen, sondern die Erfüllung der Verheissungen Gottes.

Es fällt auf, wie pragmatisch Paulus in unserem Predigttext wird, wenn es um konkretes Verhalten geht:
Wir sollen einander beim Geschäften nicht übervorteilen.
Wir sollen ehrlich sein, in Ruhe und Frieden leben und
mit den eigenen Händen arbeiten.

Ganz dementsprechend bleibt auch Calvin auf dem Boden der Wirklichkeit.
Wohl ist die Gerechtigkeit Gottes unser letzter Massstab. Wir müssen sie aber in unsere vieldeutige Wirklichkeit herunterbrechen.
Und so sieht Calvin eine enge Partnerschaft zwischen Kirche und Staat: Die Kirche erinnert als Wächterin den Staat ständig an die Gerechtigkeit Gottes und überprüft, ob die Gesetze und Verordnungen dieser entsprechen. Der Staat seinerseits fördert und schützt die Kirche und
damit die Verehrung Gottes. Christliche Ethik hat bei Calvin darum immer beide Seiten:
Die individuelle, persönliche – und die gemeinsame, gesellschaftliche:
Ich bin als Einzelner täglich herausgefordert, mein Leben vor Gott und
den Nächsten zu verantworten. Gleichzeitig steht die ganze christliche Gemeinde in Verantwortung vor der Welt, indem sie sie daran erinnert und ihr vorlebt, was der Wille
Gottes ist.
Auch das ist in unserem Predigttext angelegt.
So mahnt Paulus die Thessalonicher, sie sollen ihre Liebe nicht bloss mit den Glaubensgeschwistern teilen, sondern noch verschwenderischer mit ihr umgehen, sie allen Menschen austeilen und sich denen gegenüber, die nicht zur Gemeinde gehören, vorbildlich verhalten. Zum Schluss komme ich nochmals zurück auf meine Eingangsfrage:
Wozu sind Sie heute in die Kirche gekommen?
Calvin würde sagen: Zum Gottesdienst!
Nun aber keineswegs in dem Sinn, dass wir Gott dienten. Nein, im Gottesdienst dient Gott uns.
Ja, Calvin betont:
Der Gottesdienst ist der Dienst Gottes an uns:
In der Stille der Kirche finden wir nach den sechs Wochentagen der Arbeit
Ruhe und Frieden bei Gott.
Er dient uns mit seinem Wort der Gnade und Erwählung, stärkt uns mit seinem Zuspruch, beflügelt uns mit seiner Hoffnung.
In der kommenden Woche dann antworten wir Gott und dienen ihm, indem wir den Alltag heiligen, im Privaten und Gesellschaftlichen.
Und weil Gott sechs Tage an seiner Schöpfung arbeitete, um am siebten Tag zu ruhen, darum ist die Arbeit auch für uns kein notwendiges Übel oder Mittel, uns zu bereichern,
sondern ein ganz wichtiger Teil unseres Gottesdienstes.
Wo auch immer wir hingestellt sind:
Als Handwerker oder Lehrerin, Raumpfleger oder Pfarrerin, einfache Arbeiterin oder Manager.
Die Arbeit ist unsere Berufung. Mit ihr antworten wir auf den Dienst Gottes an uns
und verwirklichen die Gaben und Talente, die Gott in uns angelegt hat.

Amen.

Thomas Muggli-Stokholm, 24.05.2009
Pdf der Predigt kann hier bezogen werden

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