Freitag, 22. Juli 2011

Für die Leserschaft gegen den Strom



Indro Montanelli (1909 - 2001)


Zum Tod eines aussergewöhnlichen italienischen Journalisten


Am Sonntag verstarb in Mailand 92-jährig Indro Montanelli, der grosse alte Mann des italienischen Journalismus. Montanelli war ein scharfsichtiger und unbestechlicher politischer Kommentator, ein Meister des glasklaren Stils und ein zuverlässiger Augenzeuge des 20. Jahrhunderts.


Von Giorgio Vittorio Girardet

Als Sohn eines Gymnasiallehrers 1909 im toskanischen Fucecchio geboren, begann Indro Montanelli im selben Jahr die Primarschule, in dem Italien mit wehenden Fahnen in den Ersten Weltkrieg eintrat. Jenes Italien, eine konstitutionelle Monarchie, bildete die emotionale Grundierung seiner liberal-demokratischen Haltung. Die Machtergreifung Mussolinis fand im Pubertierenden einen begeisterten Anhänger. Nach dem Studium des Rechts und der politischen Wissenschaften in Florenz meldete er sich als Freiwilliger für den Abessinienkrieg. Sein Kriegsbuch begründete sogleich seinen Ruf als stilgewandten, unvoreingenommenen Beobachter und öffnete ihm die Türen der Redaktionen. Doch seine Begeisterung für den Faschismus war in den Sandwüsten Abessiniens jenem tiefen Skepizismus gewichen, der ihn zum begnadeten Reporter machte. Ab 1937 arbeitete er vorerst vom Regime unbehelligt für den „Corriere della Sera“. Als er gegen Kriegsende aus Tallinn zurückkehrte, wohin man als Leiter eines Instituts für italienische Kultur „strafversetzt“ hatte, entging er nur knapp der Vollstreckung des von den Faschisten ausgesprochenen Todesurteils.

Als Reporter in der Welt

1945 recherchierte Montanelli über Gräueltaten der Partisanen in der Emilia. Allzu genau: sein Chefredaktor zog es vor, ihn als Korrespondenten an das Kriegsverbrechertribunal nach Nürnberg zu entsenden. Abessinien, der Spanienkrieg, der Finnlandfeldzug, Nürnberg, Tito, der Einfall der Sowjets in Ungarn: überall war er dabei, seine tragbare Olivetti „Lettera 22“ auf den Knien. Er wurde zu dem, was ihm Staatspräsident Ciampi in seinem Nachruf attestiert hat: zum grössten Chronisten und Zeitzeugen italienischer Zunge des 20. Jahrhunderts, der wie kein anderer den Italienern die Welt und ihre eigene Geschichte mit seinem nüchtern toskanischen Blick erschlossen hat.

Nur der Leserschaft verpflichtet

Im Italien von Don Camillo und Peppone erwarb er sich den Ruf eines verbiesterten Kommunistenfressers: Er galt nun bis weit ins rechte Lager als Faschist und wurde geschnitten. Die Bewegung der Achtunsechziger un der softe „Eurokommunismus“, von Intellektuellen bis weit ins liberale Lager salonfähig gemacht, fanden seine Gnade nicht. 1974 erschien ihm selbst der bürgerliche „Corriere della Sera“ nicht mehr tragbar. Er zog mit einer Anzahl Journalisten aus und wurde – im Pensionsalter angelangt – Chefredaktor seines eigenen Blatts: „Il Giornale Nuovo“. Sein Credo:

„Wir sind überzeugt, dass eine Gruppe auf Grund ihrer Fähigkeiten zusammengestellter Männer, die fest entschlossen sind, einzig dem Interesse des Lesers zu dienen, von diesem so viel erhalten werden, als zu Unterstützung ihrer Unternehmung notwendig ist, ohne sich in den Schatten – oder unter die Rockschösse – eines Beschützers begeben zu müssen.“


Die Treue der Lesergemeinde sicherte der von Insertionsboykotten gebeutelten Neugründung das Überleben. Montanelli war zur Institution geworden: Jeden Tag feuerte er scharfzüngig seine Breitseiten gegen die Anbiederung nach links. So erstaunte es niemanden, dass am 2. Juni 1977 zwei Rotbrigadisten ihm auf dem Weg in die Redaktion in die Beine schossen. In der Zeitung vom 3. Juni entschuldigte er sich im Editorial vom Spitalbett aus bei den Lesern für das Ausbleiben seiner Rubrik „contro corrente“ (gegen den Strom). Jahre später versöhnte er sich mit den beiden Attentätern.

Klaren Wein für Freund Berlusconi

Als Silvio Berlusconi 1994 beschloss, „in das Feld der Politik hinabzusteigen“, glaubte der Medientycon im Chefredaktor seines „Giornale“ einen renommierten Propagandisten und gleichgesinnten „Kommunistenfresser“ gefunden zu haben. Doch der 85-Jährige legte seinem Patron in aller Freundschaft und als wahrer Liberaler in einem offenen Brief dar, weshalb er, Montanelli, das Journalistenhandwerk unter einem politisierenden Verleger nicht weiter treiben könne und gründete erneut eine eigene Zeitung. Mit einem klaren Blick für Fragen des politischen Stils und die Möglichkeiten Italiens in Europa unterstützte er in den letzten Wahlen das Mitte-links Bündnis unter der Führung von Francesco Rutelli als weniger schlechte Lösung.

Zurück zu den Wurzeln
La Voce“ überlebte knapp die erste Regierung Berlusconi. Der „Corriere della Sera“, für den er immer wieder als Leitartikler in Erscheinung getreten war, gab dem Doyen des italienischen Journalismus wieder eine pulizistische Heimat und Montanelli trat erneut – als wäre er nie weg gewesen – räsonnierend in jene „stanza“, eine Stammrubrik, ein, wo ihn nun die Enkel und Urenkel seiner ersten Lesergeneration mit Fragen löcherten. Mittlerweile hatte er die ganze italienische Geschichte in seinem belesenen und träfen toskanischen Plauderton mit wechselnden Kollegen vom antiken Rom bis zur jüngsten Gegenwart erzählt und konnte aus dem Vollen schöpfen. Als er im vorletzten Sommer krank war, schockierte er das katholische Italien mit seinen Gedanken zum Freitod. Nun ist er nach kurzer Krankheit abgetreten. Und ganz Berufsmann und bis zuletzt luzid, schrieb er seinen Nachruf für den „Corriere“ letzten Mittwoch selbst.

Mittwoch, 18. Juli, 1.40 Uhr am Morgen.
An das Ende eines langen und bewegten Lebens gekommen, nimmt Indro Montanelli, Journalist, Fucecchio 1909 - Mailand 2001, Abschied von seinen Lesern, bei denen er sich für die Zuneigung bedankt und für die Treue, mit der sie ihn begleitet haben
.

Sollte Italien nach Berlusconis multimedialer Show wieder zur Besinnung kommen, so wird man an Montanelli für den Neuaufbau Mass nehmen können.

Erschien zuerst im „
Landbote“ von Winterthur, Mittwoch 25. Juli 2001

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