Der folgende Artikel nimmt Bezug auf die Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland. Diese sind bezüglich des Staatskirchenrechtes den schweizerischen nicht unähnlich. Darum und weil Lübbe lange Jahre in Zürich wirkte, wo er jetzt auch wohnt, sei der Artikel - der in einer etwas zweifelhaften Umgebung vorgefunden wurde - in die Willensnation eingefügt.
Von Professor Dr. Hermann Lübbe: Emeritierter Professor für Philosophie und Politische Theorie (Universität Zürich) und Senior Fellow an der Universität Essen.
Lauter und häufiger hört man wieder in Deutschland Stimmen, die eine radikale Trennung von Staat und Kirchen verlangen. Die „Staatsleistungen“ an die Religionsgesellschaften seien endlich abzulösen, wie es die Verfassung selber verlange. Auch von den Kosten der Pfarrerausbildung an den Theologischen Fakultäten der staatlichen Universitäten seien die Länder zu entlasten. Den Einzug der Kirchensteuern sollten künftig die Kirchen selbst bewerkstelligen. Die Anrufung Gottes sei im Verfassungsrecht unpassend. Die Europäische Union habe doch darauf in ihrer Grundrechte-Charta, entgegen bischöflichen Wünschen, gleichfalls verzichtet. Wieso sei in Deutschland immer noch, sogar im Grundgesetz festgeschrieben, der Religionsunterricht „ordentliches Lehrfach“, dem einzig durch Berufung durch das Menschenrecht der Religionsfreiheit zu entkommen sei? Andere große und wichtige Länder der westlichen Wertegemeinschaft kennten doch dergleichen auch nicht – Frankreich zum Beispiel oder auch die Vereinigten Staaten.
Mit Argumenten wie diesen wird schließlich das ganze traditionsreiche deutsche Staatskirchenrecht in Frage gestellt. Die Kirchen ihrerseits fühlen sich kulturkämpferisch von einem neuen Laizismus attackiert, der wieder einmal die Religion vollständig in das Privatleben zurückdrängen möchte. Überreste laizistischer Orientierung gibt es tatsächlich. Wichtiger sind andere Gründe, die das Verhältnis von Staat und Kirchen neuerlich zum Problem haben werden lassen.
Worum handelt es sich? Zunächst: Die Präsenz der Kirchen in der kulturellen und politischen Öffentlichkeit hat sich durch die Kirchenaustritte geändert, und zwar dramatisch. Die Bewegung verläuft seit einem halben Jahrhundert kontinuierlich. Austrittsschübe gab es um 1970 und um 1990 mit jeweils nachfolgender Beruhigung. Die Protestanten sind von den Austrittsschüben am stärksten bedrängt. Aber die Katholiken folgen ihnen mit einigem Abstand in verblüffender Parallelität. Um 1950 waren noch gut 95 Prozent der Deutschen zugleich Kirchenmitglieder. Inzwischen sind es nicht einmal mehr 70 Prozent. Die Zahl der Städte wächst, in denen der Anteil der kirchenverbundenen Einwohner auf weniger als 50 Prozent gesunken ist. Das ist sogar ein europäischer Trend. Zu Beginn des Jahres 2011 gab der Wiener Erzbischof bekannt, in der Hauptstadt Österreichs betrage der Anteil der Katholiken gerade noch 40 Prozent.
Anders als Deutschland kennt Österreich einen staatlichen Kirchensteuereinzug nicht. So oder so: Die wichtigsten Einnahmen der Kirchen, die Steuern eben, sinken ihrerseits mit den Mitgliederzahlen. Kirchenleistungen, die unabhängig von den Mitgliederzahlen zu erbringen wären, werden mitunter unfinanzierbar. Die Absicht, Kirchensteuern zu ersparen, ist eines der stärksten Motive für den Kirchenaustritt – häufig in Verbindung mit der bemerkenswerten Auskunft, Christ könne man auch außerhalb der Kirche sein.
Das Motiv, Steuern zu sparen, entfiele bei einer staatlichen sogenannten Widmungssteuer, wie sie zum Beispiel Italien eingeführt hat. Diese Steuer verpflichtet die Bürger, den Steueranteil, den sie der Kirche nicht mehr zukommen lassen möchten, alsdann einer anderen gemeinnützigen Körperschaft zuzuwenden. Es hat seine Evidenz: Allein schon die Kirchensteuerfrage wird eine Revision des geltenden Staatskirchenrechtssystems erzwingen.
Schon hat man in den Kirchen hören können, komplementär zu den schwindenden Steuereinnahmen müssten dann eben Staatsleistungen umso wichtiger werden, deren sich die Kirchen in Deutschland erfreuen können – zum Teil in kontinuierlich gewährleistetem Ausgleich staatlicher Einziehung kirchlichen Vermögens, der Klöstergüter zum Beispiel, im sogenannten Reichsdeputationshauptschluss des Jahres 1803. Das sind die „besonderen Rechtstitel“, die das Grundgesetz im fortgeltenden Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung erwähnt. Indessen: Derselbe Verfassungsartikel verlangt, die historisch begründeten Staatsleistungen zugunsten der Kirchen abzulösen, und es ist kein Zufall, dass inzwischen öffentlich verlangt wird, diesen Verfassungsauftrag endlich zu erfüllen.
Wieso geschah das bislang nicht? Formell fehlt es an einem Bundesgesetz, das nach dem Wortlaut der Verfassung „Grundsätze“ für die fragliche Ablösung aufzustellen hätte. In der Realität ließe sich freilich mit diesem unerfüllten Verfassungsauftrag gut leben, und für die Kirchen gilt das zumal. Jetzt also wird öffentlich an diesen Auftrag erinnert, und es handelt sich dabei nicht um eine juristische Konsequenzmacherei, die verlangt, dass doch, was seit mehr als neunzig Jahren von der Verfassung verlangt wird, endlich auch zu geschehen habe. Die Kirchenaustritte haben den Kreis der Wähler anschwellen lassen, die als Steuerzahler für jene Staatsleistungen nicht mehr in Anspruch genommen werden möchten.
Gewiss: Die „Rechtstitel“, die die Staatsleistung der Kirchen historisch legitimieren, sind gut beurkundet. Aber ihr Alter macht sie allmählich kraftlos. Man stelle sich eine Haushaltsdebatte in einem Parlament vor, in der die Verteidiger traditioneller Leistung zugunsten kleiner Kirchenstiftungen, argumentativ bedrängt, schließlich auf den Paragraphen 35 des Reichsdeputationshauptschlusses als letztinstanzliche Verpflichtungsgrundlage verwiesen. Man hätte mit verständnislosem Kopfschütteln, ja mit Gelächter zu rechnen.
In der politischen Quintessenz heißt das: Der verlässlich realisierbare materielle Wert vieler Anspruchsgrundlagen der Staatsdotationen nimmt fortschreitend ab. Die Kirchen könnten gut beraten sein, den noch realisierbaren Wert der verfassungsgemäßen Ablösung dieser Dotationen alsbald in Anspruch zu nehmen.
Auch subtiler als Geld wirkende Faktoren gibt es, über die das geltende Staatskirchenrecht dazu beiträgt, die öffentliche kulturelle und politische Präsenz der Kirchen zu schwächen, anstatt zu stärken. Das gilt auch für den Religionsunterricht, den das Grundgesetz in öffentlichen Schulen als „ordentliches Lehrfach“ festschreibt. Zugleich aber gewährleistet die Verfassung, ungleich wichtiger, die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses und damit das Recht religionsmündig gewordener Schüler, sich vom staatlichen Religionsunterricht abzumelden. Gelegentlich taten das viele, heute eher nicht mehr.
So oder so sind die Religionsunterrichtsdissidenten verpflichtet, an einem Ersatzunterricht teilzunehmen, der vielerlei und jedenfalls „Ethik“ bietet. Das hört sich gut an. Auch unsere Religionen und Konfessionen halten uns zur Beachtung der Regeln guten Lebens an, und das sollte auch für diejenigen gewährleistet bleiben, die im Übrigen auf Religion keinen Wert mehr legen.
Religion nach freiem Belieben, Ethik unbedingt – so also wollen es bei uns Verfassung und Unterrichtsgesetze. Tatsächlich ist, wenn man am staatlichen Religionsunterricht festhalten möchte, eine andere Gewichtung von Religion einerseits und Ethik andererseits rechtlich nicht möglich. Aber diese Regelung beschädigt zugleich öffentlich die Wahrnehmung dessen, worum es sich bei der Religion überhaupt handelt. Unser Staatskirchenrecht fördert die Neigung, die Religion hauptsächlich noch wegen ihres moralischen Mehrwerts zu schätzen.
Ein Anzeichen dieses Vorgangs, der die religiöse Kultur tiefreichend schädigt, ist der inflationäre Gebrauch des Wertebegriffs in der Politik. In den kanonischen Schriften unserer religiösen und ethischen Überlieferung kommt der Begriff Werte gar nicht vor. Er entstammt der Ökonomie. „Wert“ – das ist ein Begriff für unsere umständehalber stets schwankende Schätzung von Gütern und Tugenden. Und der Wert des Kulturguts der Religion sinkt, wenn sie in unserer Religionsunterrichtsgesetzgebung hauptsächlich ihrer ethischen Gehalte wegen verpflichtend gemacht wird.
Dabei ist es nicht schwer, sich daran zu erinnern, worum es sich bei der Religion weit über Moral hinaus und sogar vorrangig handelt. Die drei ersten der Zehn Gebote der mosaischen Gesetzestafel haben mit Moral nicht das mindeste zu tun, die Hochfeste des christlichen Kirchenjahres von Weihnachten über Ostern bis Pfingsten ebenso wenig, und sogar das Grundgesetz schützt den christlichen Sonntag und nicht einen Wertebekenntnistag als Tag der „seelischen Erhebung“.
Gottesliebe ist als religiöses Gebot aus dem kategorischen Imperativ nicht ableitbar, und besser als bei Immanuel Kant, der über die religiösen Riten der Tibeter zum Beispiel in verblüffender, aber im Aufklärungszeitalter verbreiteter Weise spottete, ließe sich bei Friedrich Schleiermacher lernen, worum es sich bei der Religion weit über die Moral hinaus handelt.
Einst hat das Staatskirchenrecht vor allem die Aufgabe gehabt, in strikter Parität die Rechte und die öffentliche Präsenz der Großkirchen unserer nachreformatorischen, konfessionellen Traditionen gesetzlich zu festigen und zu sichern. Heute erweist sich die Fähigkeit des Staatskirchenrechts als unzureichend, die unaufhaltsamen Pluralisierung religiöser Kulturen zu verarbeiten. Der Versuch, die muslimischen „Religionsgesellschaften“, soweit sie überhaupt schon rechtlich konstituiert sind und somit auch eindeutig identifizierbare Mitgliedschaften kennen, analog zu den Kirchen zu kulturell und politisch repräsentativen Körperschaften des öffentlichen Rechtes erheben zu wollen, ist in absehbarer Zeit weder aussichtsreich noch sinnvoll.
Die Orientierung am Staatskirchenrecht bei Bemühungen, den auch für muslimische Kinder schulrechtlich verbindlichen Religionsunterricht endlich effektiv anzubieten, beschädigt sogar die Geltung des Staatskirchenrechts durch den Erweis seiner einschlägigen Untauglichkeit.
Die vermeintlich gute politische Meinung ist, die muslimischen Kinder aus der „Koranschule im Hinterhof“ zu emanzipieren und mit Hilfe der Staatsschule an den Segnungen der Aufklärung teilhaben zu lassen. Verkannt wird darüber in schwerwiegender Weise die Rolle, die die Religionen in Aufklärungsprozessen tatsächlich spielen. Religionen machen politische Aufklärung dauerhaft nicht über eine staatliche Unterrichtung über sie. Staatlich verbindlich gemachter und akademisierter Religionsunterricht erscheint vor diesem Hintergrund eher als ein Relikt aus der Vormodernität einer kleinen Zahl paritätisch privilegierter Vorzugskonfessionen.
Die Grenzen des Staatskirchenrechts spiegeln sich auch im jüngeren Umgang mit Religionsgemeinschaften, die im Unterschied zum inzwischen machtvoll präsenten Islam sehr klein sind. Für die Zeugen Jehovas zum Beispiel gilt das. An Wahlen pflegen diese Zeugen in ihrer Rolle als Bürger bekanntlich nicht teilzunehmen. Man versteht durchaus, dass zuständige Landesbehörden fanden, hier mangle es an „Staatsloyalität“, was mit dem begehrten Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts unverträglich sei. Andererseits ist die Teilnahme an Wahlen keine gesetzliche Bürgerpflicht. So entschied das Bundesverfassungsgericht dann zugunsten der Zeugen Jehovas. Ernst Wolfgang Böckenförde hatte schon 1999 befunden, dass, wenn der Umgang der Zeugen Jehovas mit dem Wahlrecht ausschlösse, sie zu einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft zu machen, doch auch „für die katholische Kirche bis zur Erklärung der Religionsfreiheit des 2. Vatikanischen Konzils, wäre sie nicht schon Körperschaft gewesen, eine Anerkennung“ als solche nicht hätte erfolgen dürfen.
Es erübrigt sich, mit analogen Geschichten fortzufahren. In ihrer Summe machen sie die Sachzwänge sichtbar, die rechtspolitisch einen Wandel des privilegierenden Staatskirchenrechts zu einem allgemeinen Religionsrecht nahelegen. Der vormalige nordrhein-westfälische Kultusminister Paul Mikat (CDU) hatte diesen Wandel schon vor dreißig Jahren angekündigt, und der Grazer Jurist Wolfgang Mantl prognostizierte kürzlich vor dem Hintergrund eines instruktiven Berichts über die älteren und konsolidierteren Erfahrungen Österreichs mit der religionsrechtlichen Integration des Islams, die „Pluralisierung religiöser Assoziationen“ werde „früher oder später . . . zur US-amerikanischen Situation der Minimierung des staatlichen Interesses an der öffentlich-rechtlichen Körperschaftsverfassung der Religionsgemeinschaften führen“. Für ideelle Gruppierungen, also Weltanschauungsgemeinschaften und religiöse Assoziationen, biete sich doch „die Rechtsform des Vereines“ an.
In der Tat kennt das amerikanische Religionsrechtssystem die Schwierigkeiten nicht, die unserem Staatskirchenrecht zwangsläufig aus der rasch fortschreitenden Pluralisierung des religiösen Lebens erwachsen. Selbstverständlich kann man die für Amerika schon immer typische strikte Trennung von Staat und Kirche nicht einfach auf europäische Verhältnisse übertragen. Aber es lohnt sich, bei den Erörterungen über die Zukunft des Staatskirchenrechts europäischer Tradition die Vorzüge gegenwärtig zu halten, die mit einer konsequenteren Trennung von Staat und Kirche gerade auch für die öffentliche Präsenz der Religion in Kultur und Politik verbunden sein können.
Die amerikanische Verfassung verbietet strikt die Gewährung staatlich etablierter Privilegien zugunsten der Religionen, Konfessionen und ihrer Kirchen. Andererseits erwarten die Bürger von ihren Präsidenten religiöse Bindung und Prägung, und ohne diese Prägung wären sie kaum in ihr Amt gewählt worden. Ist der Präsident ein Christ – und das waren die Präsidenten der Vereinigten Staaten bislang ausnahmslos -, so legt er beim Amtseid die Hand auf die Bibel. Sogar öffentlich darf er in Amtsausübung beten. Betanlässe gibt es in der Politik fortdauernd reichlich – den frommen Wunsch „God bless you!“ zum Beispiel am Ende von Staatsbesuchen in katastrophenbedrängten armen Ländern. So tat es Clinton mehrfach in Afrika. Auf jeder Dollar-Note sogar wird inschriftlich Gottvertrauen bezeugt. „Zivilreligion“ nennt man das.
Demgegenüber wirkt bei uns das öffentliche Leben politisch hochsäkularisiert und das christliche Leben hochverkirchlicht. Just die Privilegien, die das Staatskirchenrecht den Kirchen gewährt, sind besonders wirksame Faktoren dieser Verkirchlichung. Die gemeine christliche Prägung unserer Kultur wird demgegenüber öffentlich bis in die Politik hinein eher zögerlich, ja gelegentlich beflissen zurückhaltend bekundet. Sogar in der Rechtsprechung in Religionsangelegenheiten wirkt sich das aus.
Der „Kruzifix-Beschluss“ des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 1995 belegt das eindrucksvoll. Die Richter-Mehrheit, die diesen Beschluss trug, war sichtlich bemüht, das Schulkreuz in seinem Symbolsinn kirchennah als verbindliches Zeichen eines zentralen und verpflichtenden Glaubensgehalts zu interpretieren. Das Kreuz verlange mehr als eine grundrechtlich unschädliche „Anerkennung“ des Christentums als eines „prägenden Kultur- und Bildungsfaktors“, so hieß es in der Urteilsbegründung. Entsprechend sei seine Anbringung in öffentlichen Schulräumen mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit der Schulpflichtigen unverträglich.
Ebendas kann man auch anders sehen – wie die beim Kruzifix-Beschluss unterlegene Richter-Minderheit, welche fand, unbeschadet des sich kirchenintern mit dem Kreuz stets verbindenden Glaubensanspruchs sei es doch weit über die Grenzen der Kirchenräume hinaus ein omnipräsentes Symbol „der christlich geprägten abendländischen Kultur“. Von den Wirkungen und Manifestationen dieser Kultur sich vollständig fernhalten zu sollen, könne auch dem Staat realistischerweise nicht angesonnen werden. Sähe man es nicht so, wären schließlich auch noch die Kreuze aus zahllosen Landes- oder Gemeindewappen zu entfernen oder Kreuze, die Dissidenten, ja auch Muslime oder Juden sich bislang auf Urkunden, Amtsschreiben oder in Gestalt von Bundesverdienstkreuzen gefallen lassen müssen, darüber hinaus sogar auch noch die Mutter Gottes im Dienstsiegel der staatlichen Ludwig-Maximilians-Universität auf den Doktor-Urkunden schiitischer Ärzte aus Teheran, die in München ihr Studium abgeschlossen haben.
Wäre das alles ein Verstoß gegen die Religionsfreiheit und damit verfassungswidrig, so wären es schließlich die zahllosen Kreuze auf unseren Friedhöfen auch noch, soweit es für sie nach Lage der Dinge bei der Erfüllung gesetzlicher Bestattungspflicht auch für Nichtchristen in Einzelfällen keine Alternative gibt. Sogar die zumeist von Angehörigen privatrechtlicher Vereine errichteten Gipfelkreuze wären eine Verfassungsbeschwerde wert, nämlich dann, wenn für ihre Kosten (was häufig vorkommt) auch Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln der Gemeindekasse geflossen wären.
Es hat seine Evidenz: Die fraglichen kulturellen Bestände verlangen eine andere Art der Beschreibung. In ihrer Summe repräsentieren sie bis in die öffentlichen Räume hinein eine religiös mitgeprägte Mehrheitskultur, die Angehörigen religiöser Minderheiten gar nichts aufdrängt. Sie verlangt lediglich den Respekt ihrer faktischen Mehrheitspräsenz: So lebt man hier eben seit langem – mit Kreuzen im Wappen von Trier, Wien oder Schwyz, mit der kulturellen Dominanz christlicher Feiertage im Kalender und auch noch mit einer staatlichen Denkmalpflege, die unbeschadet der Gleichverteilung des Grundrechts der Religionsfreiheit gemäß der Prägung unserer Landschaften und Altstädte disproportional häufig mit der Restauration von Klöstern, Kathedralen und Dorfkirchen beschäftigt ist.
Wahr ist, dass unsere Kultur sich gegenwärtig einschließlich ihrer religiösen Herkunftsprägungen dramatisch wie nie zuvor wandelt und pluralisiert. Die Freiheit der Religion macht es möglich. Aber ein Recht religiöser Minderheiten auf paritätische Präsenz im öffentlichen kulturellen Raum folgt aus dieser Freiheit nicht. Im staatskirchenrechtsfreien amerikanischen Exempel heißt das: Man verstünde durchaus, wenn dort gern auch einmal die Muslime – immerhin etwa drei Prozent der Bürger des Landes – Zeugen des Beginns der Präsidentschaft eines ihrer Gläubigen würden, bei welchem die Schwurhand beim Amtseid, statt wie bisher auf der Bibel, auf dem Koran läge. Aber die Kultur, die im Rahmen gleich verteilter Bürgerrechte mit ihren Pluralisierungsfolgen unverändert vorherrscht, beruht nun einmal auf Mehrheit, die dauert – von strikt herrschender Religionsfreiheit begünstigt und von keinem auf Paritätsgewährleistung verpflichteten Staatskirchenrecht ernsthaft bedrängt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen