Gibt es eine richtige Partei? Hier denkt einer darüber nach, warum er sich ausgerechnet für die Evangelische Volkspartei entschieden hat.
Ich bin einer Partei beigetreten mit 43.
Unsereins vom Jahrgang 1965 fiel das sich vollendende Schlaraffenland der 68er in den Schoss, diese unbedingte Zuversicht in den guten, spontanen und kreativen Menschen. Aber wir erbten die apokalyptischen Erwartungen des Club of Rome, die sich auf das dräuende "1984" hin in autorfreien Sonntagen, im drohenden Atomstaat Robert Jungks, dem Waldsterben und Tschernobyl allmählich menetekelhaft materialisierten. So meinte ich lange ein "Linker" oder ein "Grüner" sein zu müssen. Aber nein: Ich könnt mich nicht auf Dauer bei gewissen Genossinnen einreihen, die unter Absingen der Internationalen der Ausssicht auf ein Verwaltungspöstchen ihre ersten Föten opfern. Leider ist auch mein Leistungsausweis zu dürftig, um beim kravattierten Schaulaufen der FDP-Bierdeckel-Ideen mitzumachen, der Partei, die unseren Staat, den sie ersonnen und aufgebaut hat, nur noch als durch Wählermandate getarntes Geflecht von Verwaltungsratspfründen verwaltet.
Und endlich komme ich aus dem falschen Milieu, um mich organisch der CVP anzuschliessen. Die Unverfrorenheit, mit welcher der Walliser Condottiere Darbellay den ausstehenden Sold der Grossbanken für die Abstimmungsleistungen seiner Beichtkinder reklamierte, erinnert mich fatal an den verkrachten Sozialismus eines Bettino Craxi. Bei den Grünen überwiegen - bei einem grossen Respekt vor Einzelfiguren und dem Grundanliegen - Schwarmgeister und von der "Ästhetik des Widerstandes" träumende Utopisten. Und für die SVP endlich, das Geschöpf des "Unternehmers in Chemie und Volkszorn" (Adolf Muschg, 1997), müsste ich mich als Opportunist auf den Karren des Siegers schwingen: nimmer.
Und deshalb die EVP? Nicht nur. Im Versuch, schreibend Geld zu verdienen, hatte ich bald "Kolumnen", war angewiesen auf "Meinung", die sich auch "kreativ" und "spontan" einstellte - aber nicht immer dem entsprach, was der helvetische Rudeljournalimus wünscht. Und da vieles von dem, was ich sagen will, "unsäglich" erscheint und sich offenbar nur noch als Satire sagen lässt, endete ich beim Nebelspalter. Satire - Tucholsky sagte es - "darf alles" und sei ein Produkt von "Moralisten" und "gekränkten Idealisten". Aber Himmel? Wo sollte ich das Mass der Gerechtigkeit für meinen beissenden Spott finden, wenn nicht in der Gottesfurcht?
Darum einer Partei beitreten? Der Partei, die mit Pfarrer Sieber warb? Vielleicht eher der Partei Ruedi Aeschbachers (NR, ZH), der als Stadtrat die Zwinglistadt - die "Grünen" steckten noch in den Kinderschuhen - zum verkehrsberuhigten Weltwunder machte, der vor laufenden Kameras mit heiterer Gelassenheit Christoph Blocher die Qualifikationen zum Bundesratsamt weglachte, wo andere in schäumendem Parteigeist die Contenance verloren. Es ist der ruhige Mut zum Unzeitgemässen, zur Lächerlichkeit, der mir bei der EVP imponiert.
Nur darum zur EVP? Nein, ich geb's zu, es ist auch: die Macht. Oft Zünglein an der Waage, sitzt die EVP im geometrischen Gleichgewichtspunkt des Meinungsspektrums des Parlaments in der Position des allseits respektierten Schiedsrichters. Und aus dieser Position kauft man ihr auch grossartige Dummheiten ab.
Ausgerechnet mein neuer Parteipräsident, Heiner Studer (NR, AG, 2007 abgewählt) hat die dümmste Erkenntnis der eidgenössischen Räte 2003 durch eine Motion initiert: die Abschaffung der Gewissensprüfung für Wehrdienstverweigerer. Am 1. April 2009, im Calvin-Jubeljahr, detonierte diese tempierte Handgranate, die vertrauensselig ob des ach so frommen Absenders ungeprüft durch die beiden Kammern der eidgenössischen Räte gereicht wurde. Sie ist geeignet, die alte Milizarmee vollends zum gefährlichen Sammelbecken patriotischer Zivilversager zu machen.
Der Typus des skrupelbeladenen Milizoffiziers (wie Adolf Muschg), der seine Verantwortung ernst nimmt, wird aussterben, Zivilversager und Uniformnarzissten werden weiter "frivole Unglücksfälle" mit Untergebenen organisieren. Die Räte sollen sich an ihren Amtseid erinnern und ihrem Schildbürgerstreich, den sie einer SP-Frau, einem Kommunisten oder einem Grünen nie durchgelassen hätten, Remedur schaffen. Als Publizist bleibe ich nur glaubwürdig, wenn ich meine Partei nicht von Kritik ausnehme, auch meinen abgewählten Präsidenten nicht.
GIORGIO GIRARDET
Erschienen in der Schweizer Ausgabe der "Zeit" vom 22. Dezember 2009
Mittwoch, 8. September 2010
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2 Kommentare:
interessant, meine gedanken kreisen diesbezüglich auch um eine parteinahme - sie will sich nicht leicht vollziehen lassen. mit 32jahren.
mein rucksack hat pfade in der fdp. warum nicht den politischen ursinn resp. die urwurzel unterstützen dachte ich mir? nein, seit den schwachstrom jahren in den 90ern kann ich mich nicht mehr erwärmen. der bezug zur wurzel fehlt heute.
bei der cvp ist eigentlich schon alles gesagt. die beichtstühle suchen sie noch heute in den wandelhallen; auch wenn's diese gäbe sie würden nicht gebraucht. seit 2003 und vorallem 2007 ist der reifegrad als integre ch-partei verflogen.
sp und grüne können die narben der geschichte nicht verstecken. nein danke, lauwarmes gutmenschentum ist kein klima, das meine bergluft gewohnte lunge atmen will.
svp; da wirds schwierig. analog zu ihren gedanken auf dem scheitel der politischen kraft zu schwimmen kann ohne eigenes zutun problematisch sein. für die indentität. im eifer des gefechtes sind querschläger denkbar und diese müssen nicht sein.
seit meinem Ja zu jesus drängt sich also eine e-partei auf. welche nun?
nach den letzten jahren der beobachtung sind die würfel gefallen.
edu.
warum nicht evp, mag noch interessieren?
ihr erwähntes beispiel plus die unsägliche argumentation bei der minarettfrage war eher abstossend denn einladend.
frage meinerseits: ist das zünglein an der waage wie das salz in der suppe?
Lieber Zysi,
erst jetzt sehe ich Deinen Kommentar, der mich freut. Meine Stllungnahme zur EVP beruht auf der tiefen Überzeugung, dass ein "politisches Christentum" in der öffentlich-rechtlichen Kirche der Reformation beheimatet sein soll, die eine erste Schule der Toleranz ist. Bei der EDU sehe ich zwar einen grösseren Ernst aus biblischen Quellen eine politische Opposition zu erarbeiten, aber gleichzeitig die Gefahr zu Schwärmereien und Intoleranz. Ich bin überzeugt, dass Kirche und Staat in engem Kontakt bleiben sollen. Das derzeitige Modegeschwätz von Laizismus und Säkularismus führt zu diesen merkwürdigen geistigen Verirrungen der sogenannten "Freidenker".
In der Minarett-Frage habe ich übrigens (genau aus obgenannten Gründen) die EDU-Position übernommen. Hier mein Post im Vorfeld:
http://beizzweinull.wordpress.com/2009/11/02/minarette-das-beredte-schweigen-des-sp-bloggers/
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