Freitag, 24. Juni 2011

Das Ehebuch des Patriarchen


«Schriften» von Heinrich Bullinger

Von Giorgio Girardet

Die Ratlosigkeit zwischen den Geschlechtern in Alt-Europa ist gross: Die Emanzipation der Frau scheint gelungen, die Kinder fehlen. Die zu Ruhm und Rang gelangten Frauen beschäftigen sich nun im Feuilleton mit den demografischen Kollateralschäden ihres Erfolges. Etwa die Zeit-Redaktorin Susanne Gaschke (eine Tochter): «Die Emanzipationsfalle: Erfolgreich, einsam, kinderlos», oder Iris Radisch (drei Kinder), von deren Buch «Die Schule der Frauen» hier kürzlich die Rede war, ganz zu schweigen von Eva Hermans (ein Sohn) Bestseller. Tatsache bleibt, dass die europäischen Staaten ihre Bevölkerungszahlen nur dank ständiger Zuwanderung halten können. Wie war der Geschlechterdiskurs beschaffen, der Europa die Unterwerfung der Welt ermöglichte?

Heinrich Bullingers Buch «Der christliche Ehestand», 1539 in Zürich verfasst, gibt einen Einblick in die protestantische Ehelehre und den damaligen Geschlechterdiskurs. Das Buch, das in seiner englischen Übersetzung zu einem Bestseller wurde – es erlebte allein zwischen 1541 und 1575 neun Auflagen und war von grossem Einfluss auf die Eheliteratur Englands im 16. und 17. Jahrhundert –, ist nun im Rahmen einer Bullinger-Studienausgabe in einer modernen Übersetzung von Detlef Roth wieder greifbar.

Bullinger, der als Nachfolger des früh gefallenen Zwingli Calvin elf Jahre überlebte, war zuletzt eine Art Patriarch des europäischen Protestantismus. Die Ehe ist für ihn, der zusammen mit Anna Adlischwyler elf Kinder hatte, die einzige menschliche Einrichtung, die schon im Paradies bestanden hat, und mit Paulus ist sie die wirksamste Abhilfe gegen Unzucht. Der Mann sei das Haupt der Familie, wie Christus das Haupt der Kirche ist – Aufopferung inklusive. Klare Vorstellungen hatte er zur Rollenteilung:

«Was ausserhalb des Hauses ausgeführt werden muss, wie reisen, dem Erwerb nachgehen und Geschäfte erledigen, kaufen und verkaufen und dergleichen rechtmässige Dinge, ist die Aufgabe des Mannes. Er soll wie ein fleissiger Vogel hin und her fliegen, die Nahrung und die notwendigen Dinge sammeln und unermüdlich zum Nest tragen. Alles, was auf diese Weise ins Haus gebracht wird, soll die Frau sammeln und versorgen, nichts verderben lassen und alles, was im Haus zu tun ist, unermüdlich und unverzagt erledigen.»

Bullinger, Heinrich. Schriften.
Theologischer Verlag. 7 Bände zu je Fr. 58.–

Erschien zuerst in der "Weltwoche" 14/2007. Abonnement hier.

Literatur im Netz zu Bullingers Ehelehre:

Burghartz, Susanna. Zwischen Integration und Ausgrenzung: Zur Dialektik reformierter Ehetheologie am Beispiel Heinrich Bullingers. In: L'Homme. Z.F.G. 1997, Sn. 30 - 42.

Roth, Detlef. Heinrich Bullingers Eheschriften. In: Zwingliana XXXI (2004). Sn. 275 - 309.

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