Giorgio Girardet ©
Die Weltkunstgemeinde verabschiedete sich am Freitag im Berner Münster vom Ausstellungsmacher Harald Szeemann.
«Papst der Kunst», «König der Kunst». Welches Protokoll würde diesen Abschied fassen? Das Präludium in C-Dur von Johann Sebastian Bach erklingt von der Orgel des Berner Münsters nachdem die Trauerfamilie das gut gefüllte Hauptschiff des Münsters durchschritten hat. Eine Video-Montage von «Aufdi» Auf der Mauer evoziert noch einmal den Toten: sein zärtlicher Seherblick über dem anarchischen Bart, der Rauch der Zigaretten und seine ausholende Gestik, die Visionen in die Luft malt. Bei der Arbeit, im Kreis der Familie, mit Ingeborg, mit Künstlerfreunden. Alt Bundesrätin Ruth Dreifuss erinnert, wie sie ihm auf dem Monte Verità das erste Mal begegnet sei, wie er galvanisierend von sozialer Utopie und sozialer Verantwortung gesprochen habe. Dann, wie sie von der von ihm geleiteten Biennale in Venedig in eine kleinkarierte Expo-Debatte im Nationalrat zurückgekehrt sei. Flugs habe sie das vorbereitete Manuskript beiseite gelegt und vom Lichtspiel der Lagune, von der Poesie im Arsenal in Venedig und von diesem weltbürgerlichen Schweizertum Szeemanns gesprochen. Und als Drittes hob die ehemalige Kulturministerin Szeemanns Liebe für die Kleinstaaten hervor. Er habe im edlen Sinne des Wortes das Ausstellungsmachen als «l’art pour l’art» etabliert: merci Harald.
«Harry pussy». Als Freund und Vertrauter erinnerte Fritz Gerber, Ehrenpräsident der Hoffmann-La Roche, den grossen Freund Harry, der unverbrüchliche Treue hielt und in schwierigen Situationen als Zuhörer und Ratgeber mit Telefon und Fax stets verfügbar war. Von seiner Bindung zu Bern und zur Mutter, von seinem Schmerz über die Vertreibung aus der Vaterstadt nach der umstrittenen Beuys-Ausstellung in der Kunsthalle, die ihn die «Agentur für geistige Gastarbeit», sein Ein-Mann-Unternehmen gründen liess. Er bedankte sich auch bei seiner Lebenspartnerin Ingeborg, der er mit dem Satz: «Il mio ticino e la donna che amo» ein Denkmal gesetzt habe. Der Künstlerfreund Jason Rhodes aus Los Angeles erhob die Arme im Münster, «channelte» sich auf Harry und hat für den Anlass folgende Durchsage erhalten: «Harry pussy» deren verstörend-obszöner Gehalt «a hairy pussy» er dann eindringlich vorsichtig auslotete.
In der Laudatio liess Wieland Schmid, einer seiner Weggefährten aus der frühen Kuratorenzeit, die Höhepunkte von Szeemanns Wirken noch einmal Revue passieren. Und wie Bachs Fuge in C-Dur die Feier beschloss, dachte der Chronist: kein anderer Raum hätte diese Feier gefasst, wenn nicht die gotische Schatulle seiner Mutterstadt, wo der mystische Hang zum Gesamtkunstwerk versteinerte Form geworden ist.
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Basler Zeitung|25.04.2005|Seite: 6
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