Sonntag, 9. Oktober 2011

Gender Studies: Meier, bei Ammann

von Giorgio Girardet

Der eheliche (der nicht der leibliche sein muss) Vater gibt dem Kind den Nachnamen. Dieser Grundsatz wird durch den Änderungsvorschlag der Rechtskommission des Nationalrates, im Streitfall den Nachnamen der Mutter dem Kind zu geben, auf den Kopf gestellt. Erstaunlich: Diese Regelung wurde auf Anraten eines alten Mannes (Prof. Cyril Hegnauer) in einer wohl männlich dominierten Kommission fast einstimmig getroffen.
Wie gehen aber emanzipierte Mütter mit dem Namen ihrer emanzipierten Töchter um? Eine kleine Beobachtung aus dem Alltag.
Wenn ich ehemalige Studienkolleginnen zu Hause anrufe, kommt es vor, dass ich auf deren haus- oder kinderhütende Mütter stosse. Wie melden sich diese Mütter emanzipierter Töchter, die entweder im Konkubinat leben oder ihren Ledignamen behalten haben, am Telefon? Zum Beispiel so: "Meier, bei Ammann." Wer ist Ammann? Der Schwiegersohn natürlich. Das Verwunderliche: So torpedieren gestandene, emanzipierte Frauen das Bemühen ihrer Töchter, ihren Ledignamen zu behalten. Erstaunt über diese Sabotage des von Frauen hart erkämpften Ledignamens durch die eigenen Mütter, begann ich mir Gedanken zu machen. Ich kam zum Schluss, in der Meldung "Meier, bei Ammann" komme ein gewisser Stolz und auch eine Erleichterung zum Ausdruck. "Gewiss, ich hüte hier Haus und Enkelkind, aber meine Tochter ist nicht alleinerziehend, sie ist in festen Händen, sie hat es gut, für dieses Haus bin nicht ich zutständig, dies ist das Haus von Herrn Ammann." Dies auch wenn an der Türglocke und auf dem Briefkasten der Wohnung in korrektester Gleichstellung beide Namen prangen: J.Meier/R.Ammann. Die enkelhütenden Mütter waren in beiden Fällen keine Huschelis. Nein, eine hat ihre Tochter allein im Feminismus erzogen, die andere ist eine tüchtige Geschäftsfrau. Die Töchter erzielten höhere Gehälter als ihre Lebenspartner.
Das Patronym, liebe Rechtskommission, hat eine gesellschaftliche Ordnungsfunktion, die offensichtlich von gestandenen, emanzipierten Frauen, wenn es um ihre eigenen Töchter geht, geschätzt wird. Die von feministischen Männern vorgeschlagene Regelung schüttet das Bad mit dem Kind aus. Sie wird - sollte sie das Parlament passieren - toter Gesetzesbuchstabe bleiben. Denn, wie Kinder und Familien heissen, entscheiden nicht alte Männer (Cyril Hegnauer) oder progressive Scheidungsanwälte (Daniel Vischer) in Kommissionen, sondern die enkelhütenden Grossmütter am Telefon. Und die halten auf Ordnung.
(girardet@uerte.ch)

Erschien zuerst in "Das Magazin" Nr. 50 / 2006

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