Montag, 16. Mai 2011

Bullingers Dekaden (1549ff.): das Hausbuch der Reformierten

Ein weiterer Band der kritischen Werkausgabe des Zürcher Reformators Heinrich Bullinger ist herausgekommen. Bullingers „Dekaden“, sein theologisches „Hausbuch“, wurden im 16. Jahrhundert zu einem eigentlichen Bestseller.

Giorgio Girardet

Die lateinisch abgefassten „Dekaden“, das theologische Hauptwerk des Zürcher Reformators, ist eine Predigtsammlung, in welcher Zwinglis Nachfolger Heinrich Bullinger (1504 – 1575) die Lehre der reformierten Kirche nach dem Schriftprinzip („sola scriptura“) darlegt. Sie wurden zu einem Bestseller in der reformierten Welt und prägten nicht nur die Frömmigkeit der Reformierten in der Eidgenossenschaft, sondern auch der Anglikaner, Holländer, Hugenotten und Reformieren im Reich, in Polen und Ungarn.
Die Notwendigkeit eines katechetischen „Hausbuches“ ergab sich Zwinglis Nachfolger aus den schwierigen Zeitumständen. 1545 trat in Trient endlich das Konzil zusammen, das die katholische Kirche „reformieren“ sollte. In der ersten Sitzungsperiode bis 1547 wurden verschiedene reformatorische Errungenschaften von der katholischen Kirche verurteilt. Ausserdem starb 1546 der deutsche Reformator Martin Luther, und der katholische Kaiser Karl V. errang am 24. April 1547 einen entscheidenden Sieg über die Protestanten im Reich. 1548 trat das „Augsburger Interim“ in Kraft, was bedeutete, dass den protestantischen Reichsstädten Priesterehe und Laienkelch (beim Abendmahl) gewährt wurde, bis das Konzil von Trient etwas für die Christenheit Gültiges bestimmt haben würde. Am 13. Oktober musste das durch ein „christliches Burgrecht“ mit Zürich verbundene Konstanz auf sich allein gestellt ­– aus Rücksicht zu den katholischen Miteidgenossen unterliessen die reformierten Städte eine Hilfestellung – vor den kaiserlichen Truppen kapitulieren und wurde rekatholisiert.

Grundsätze des Christentums

In dieser aufgewühlten Zeit beschloss Bullinger, über die Grundsätze des Christentums, so wie er es nach der Reformation Zwinglis und in Auseinandersetzung mit dem Genfer Reformator Calvin verstand, Lehrpredigten zu verfassen. Die ersten zehn Predigten (Dekade) widmete der Grossmünsterpfarrer und Antistes (Vorsteher der Landeskirche) Bullinger 1549 seinen Amtskollegen auf der Zürcher Landschaft. Aber schon die dritte Dekade ist dem damals dreizehnjährigen englischen König Eduard VI. gewidmet, der angeleitet durch den Erzbischof von Canterbury 1549 mit dem „Common Prayer Book“ ein lutherisch-calvinistisches Mischbekenntnis in der anglikanischen Kirche Englands einführte.

Dem Humanismus verpflichtet

Bullinger ist in seiner Lehrtätigkeit in den Dekaden ganz dem Humanismus verpflichtet, dessen Losung „ad fontes“ (zu den Quellen!) er darin umsetzt, dass er auch vor seine Lehrpredigten die wichtigsten Konzilsbeschlüsse des Urchristentums setzt. Denn mit ihm weiss er sich einig, bevor die Irrungen des Papsttums einsetzten. Bei der Darlegung seiner Lehrinhalte zitiert er auch die antiken Schriftsteller. In der ersten Dekade geht er auf die Grundbegriffe des Christentums ein: Wort Gottes, Glaube, Liebe. Die 7., 8. Und 9. Predigt ist der Auslegung des Apostolischen Glaubensbekenntnisses gewidmet. In der zweiten und dritten Dekade geht er auf die Zehn Gebote ein, in der vierten und fünften vertieft er die Auslegung des Apostolikums um die Begriffe Gott, Christus, Geist (Dreieinigkeit) und „Kirche und Sakramente“. Für den des lateinischen unkundigen Leser sei auf die 2006 erschienene Ausgabe in modernem Deutsch verwiesen. Sie ermöglicht eine unverstellte Wiederbegegnung mit der Lehre der damaligen Landeskirche, wie sie im Augenblick der Gefahr von Zwinglis Nachfolger in Worte gefasst wurde.
Leicht modifizierte Fassung des Artikels im „Zürcher Oberländer" vom 9. Mai 2008.
Gesamtkatalog des Theologischen Verlags Zürich

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