Von Giorgio Girardet*
Die überaus knappe Vergabe der „kleinen Anerkennung“ an die
„Neuapostolische Kirche“ am 11. Januar im Grossrat brachte ein tiefes Malaise
an Text und Vollzug des Verfassungsartikels 133 ans Licht. 13 Grossräte
fehlten, 16 enthielten sich und 20
stimmten dagegen. Dass selbst das Präsidium sich in dieser heiklen Materie der
Stimme enthielt sorgte für erleichterte Heiterkeit: Uff, 51, das Quorum
geschafft, die Konfrontation umschifft. Jener Grossrat, der als einziger schon
2010 die Anerkennung der Christengemeinschaft ablehnte, ist ein Held. Wir erklären
warum.
„Religionsfragen scheinen reine Frauenfragen zu sein“ so
eröffnete Dominique König-Lüdin die Fraktionssprecherin der SP am 11. Januar ihre
„durchzogene“ Stellungnahme. Tatsächlich hatte zuerst die Regierungsrätin der federführenden
Finanzdirektion, Eva Herzog (SP) gesprochen. Ihr folgten Martina Bernasconi
(GLP) und Eveline Rommerskirchen (GB): beide mit „durchzogenen Stellungnahmen“.
Herzog stellte die Zusatznachforschungen ihrer Verwaltung vor und meinte dann, ganz
die promovierte Historikerin, „da Staat und Kirche getrennt sind“, empfehle sie,
den Neuapostolen, da sie alle Kriterien erfüllten, die kleine Anerkennung zu
erteilen. Diesem fundamentalen Grundlagenirrtum, dass das Dogma von der „Trennung
Staat und Kirche“ in der Schweiz und speziell im Kanton Basel-Stadt {mit seiner
„perfektionierten hinkenden Trennung“ (sic!),} schon Verfassungsrealität sei,
widersprach im Saale einzig die SP-Jutistin, Tanja Soland. Sie erinnerte daran, dass „Staat und Kirche“ keineswegs getrennt seien. Ihr Fachwissen blieb aber folgenlos, denn auch sie erteilte den Neuapostolen
die Anerkennung. Es sei gut, wenn Religionsgemeinschaften der Aufsicht des Staates
unterworfen würden.
Menschheit in zwei
Teilen
Die Debatte im Basler Grossrat wurde zum Exempel für
Tucholskys böses Diktum:
„Der Mensch zerfällt in zwei Teile: In einen männlichen, der nicht denken will, und in einen weiblichen, der nicht denken kann."
In Basel sind nicht nur „Staat und Kirche“ angeblich getrennt, wie schier alle Grossräte bis auf auf Tanja Soland glauben,
sondern auch Theologie und Kirche haben nichts mehr miteinander zu tun.
Die Geschäftsführung der theologischen Fakultät, Sabine Müller-Schneider, diktiert am Telefon:
„Wir sind eine akademische Bildungsstätte und machen zwischen Akademie und Kirche eine strikte Trennung bei klarem Bekenntnis zum Gespräch“.Das einst „bifakultäre“ religionswissenschaftliche Departement der Universität ist seit dem 1. Januar keiner Fakultät mehr zugeordnet und flottiert „völlig losgelöst“ zwischen Theologie und Geisteswissenschaften. Und nein, dieser Zustand sei nicht symptomatisch für Konzeptlosigkeit am Rheinknie, sondern „ergebe sich aus den Strukturen“.
Freunde und Feinde
Die Frage nach der Religion ist eine politische. Es geht, mit Carl-Schmitt, um die Freund-Feind-Unterscheidung,
oder, mit Peter Sloterdijk (2006), um die „zentrale Zornbank“. Die katholische Konzils-
und Universitätsstadt Basel, trat 1501 der Eidgenossenschaft bei und erst 1529 eröffnete
Basel mit dem Humanisten Oekolampad ihre eigene an Zürich (1525) und Bern
(1528) angelehnte, landeskirchliche Zornbank. Von 1529 bis 1910 – ganze 381
Jahre – kannte man am Rheinknie eine einzige „öffentlich-rechtlich-anerkannte“ Religionsgemeinschaft:
die evangelisch-reformierte Staats- und Landeskirche.
Die 1911 erfolgte Anerkennung der „Christkatholischen
Kirche“ war kein Akt des Gutmenschentums, sondern eine politische Freund-Feind-Entscheidung
der Basler Pietisten gegen die römische Zorn-Zentrale, die bis 1972 nicht
gewillt war in das Korsett des schweizerischen Staatskirchenrechts zu schlüpfen.
Jacob Burckhardt wusste noch:
„Der Protestantismus ist als Staatskirche entstanden, und wenn der Staat indifferent wird, ist er in dubioser Lage“ (aus "Neuere Geschichte von 1450 bis 1598" in "Historische Fragmente aus dem Nachlass" 7. Bd.der Gesamtausgabe S. 282 - 333)
Und in „dubioser Lage“ ist der Protestantismus Oekolampads am
Rheinknie unübersehbar: eine Kirche die aus dem Schrumpfen eine Vision macht.
Es waren drei Männer, die klar gegen die Anerkennung der
Neuapostolen votierten. Der EVP-Fraktionssprecher Christoph Wydler bezweifelte deren
„gesellschaftlichen Bedeutung“. SVP-Sprecher Heinrich Ueberwasser, votierte für
Ablehung, weil er, mit einer Katholikin verheiratet, am eigenen Leib erfahren
hat, wie das „problemlose Austrittsrecht“ der öffentlich-rechtlich anerkannten
Römisch-Katholischen Kirche beschaffen ist. Und der „kommende“ FDP-Mann Baschi Dürr erinnerte den Rat daran, dass die „kleine Anerkennung“ nach Artikel 133
kein Rechtsanspruch sondern eine willkürliche politische Entscheidung sei.
Doch neben Grünen und Linken, die „mit Unbehagen“ ja
stimmten oder sich enthielten, gewann die von Liberalen und Grünliberalen
vertretene Anschauung die Oberhand, der Rat habe sich mit der Anerkennung der
Christengemeinschaft auf eine Praxis festgelegt, die er nun als Wurmfortsatz
seiner eigenen Unbedarftheit, der fairen Verwaltung des religionsneutralen
Staates, gestützt auf die wertfreie Wissenschaft, aus Gründen des
Diskriminierungsverbotes willenlos fortzuschreiben habe. Damit hat sich der Grosse
Rat religionspolitisch in die selbstverschuldete Unmündigkeit verabschiedet.
In der Mitte der Gesellschaft
Wie weit diese Basler Begriffstrübung selbst in der Mitte
der Gesellschaft wurzelt, zeigt der hochverdiente emeritierte
evangelisch-reformierte Pfarrer, Thomas Müry (LDP), der im Grossrat bedenkenlos
die Anerkennung der Neuapostolen befürwortete, wie auch der CVP-Vertreter André Weissen. Staatsklugheit hat es am Rheinknie schwer, wenn sie aus dem Munde
eines SVP-Vertreters vorgetragen wird.
So dient nun der Artikel 133, von weisen Verfassungsvätern
ersonnen, um die 20‘000 Basler Muslime allmählich an die Leine des Schweizer
Staatskirchenrechts zu gewöhnen, dazu, die verarmenden und wegsterbenden christlichen
Senioren aus den öffentlich-rechtlichen christlichen Kirchen in einen Zoo von billigeren
charismatischen 500-Seelen-Sekten umzubetten. Den dreieinen Gott des Niceanums
darf man in Basel mit Segen des „religionsneutralen Staates“ in drei
öffentlich-rechtlich und in zwei privatrechtlich-anerkannten Darreichungsformen
verehren. „Wenn nur Gott da noch durchblickt …“ kommentiert ein Leser auf
„baz-online“.
In Basel zerstört sich die Leitkultur der Humanisten-Stadt
an einer Überdosis Fairness-Fetischismus verbunden mit dem ihr eigenen Willen auch
die zweite Wange dem säkularen Säkulum darzureichen. Und darum muss – gemäss
Tucholskys Diktum – dieser unbekannte Grossrat, der schon 2010 wider die unbestrittene
Anerkennung der Christengemeinschaft sein einsames „Nein“ einlegte, ein Kerl
sein. Es war eines dieser mittlerweile raren Exemplare männlicher Männer, die
nicht nur denken können und es auch wollen, sondern danach auch handeln: ein
Held.
*Giorgio Girardet ist Historiker und lebt in Bubikon (ZH).
Vgl. auch seinen Beitrag in der BaZ vom 11. Januar 2012
Der Text erschien in der "Basler Zeitung" vom 8. Februar 2012
Der Text erschien in der "Basler Zeitung" vom 8. Februar 2012
2 Kommentare:
Reaktion von Grossrägin Martina Bernasconi (GLP)in der "Basler Zeitung":
Im Januar stimmte der Grosse Rat der kantonalen Anerkennung der
Neuapostolischen Kirche zu. Die Behauptungen, "Analysen" und misogynen Aussagen des Artikelschreibers zu diesem Thema dürfen so nicht stehen gelassen werden. Frauen können nicht denken, Männer wollen nicht denken. Als mehrfach Betroffene (Frau, Grossrätin, ehemalige Verfassungsrätin) halte ich
fest: ich habe in meinem Votum klar für eine vollständige Trennung von Kirche und Staat votiert. Als mitverantwortliche für den zuständigen Verfassungsartikel (also nicht nur "ersonnen von weisen Verfassungsvätern"), weiß ich um dessen Stellenwert. Wenn von den Antragsstellenden sämtliche Kriterien bei mehrmaliger Überprüfung! erfüllt sind, gibt es keinen legalen und legitimen Grund, das Gesuch abzulehnen. Will man künftig auf solche Anerkennungen verzichten, so geht das nur über den Weg einer
Verfassungsänderung.
Vielen Dank für die Reaktion. Bezüglich der Ansicht, dass es "keinen legalen und legitimen Grund" gibt das Gesuch abzulehnen gab es studierte Juristen, die dies in der Ratsdebatte anders einschätzten. Bezüglich der "legitimen Gründe", so scheint mir auf der Hand liegen, dass es deren Legion gäbe und sie würden den Grossräten vielleicht auch leichter einfallen, wenn die Grossräte durch einen Amtseid nicht nur an das "übergeordnete Recht" gebunden, sondern auch auf die "Ehre der Republik Basel" eingeschworen wären. Aber das sind sie nicht, und die folgen sind offensichtlich.
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